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Academic Freedom Index Forschung ist in vielen Ländern nicht mehr frei

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in einem Land, in dem die Forschungsfreiheit abnimmt. Die USA bereiten laut einer Studie besonders große Sorgen.
Wissenschaftler sind in vielen Ländern mit Schwierigkeiten in Forschung und Lehre konfrontiert

Wissenschaftler sind in vielen Ländern mit Schwierigkeiten in Forschung und Lehre konfrontiert

Foto: Jens Kalaene/ picture alliance / dpa

Wer an einer Hochschule lehrt und forscht, ist in manchen Teilen der Welt erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt: Weil Regierungen etwa unliebsame wissenschaftliche Erkenntnisse unterdrücken, weil sie Forschende drangsalieren oder weil sie sehr genau überwachen, was Lehrende ihren Studierenden im Seminar beibringen.

In 22 Ländern hat sich der Arbeitsalltag für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Vergleich zu 2012 verschlechtert. Das geht aus dem neuen Academic Freedom Index hervor , den die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Göteborg jährlich zusammenstellen.

Deutlicher Abwärtstrend in den USA, in China, Indien und Mexiko

Ein besonderes Augenmerk legten die Autorinnen und Autoren der Studie auf vier Länder, deren Entwicklung außergewöhnlich stark ins Gewicht fällt: In den USA, so heißt es in dem Papier, greifen einzelne Bundesstaaten zunehmend in die akademischen Institutionen ein. Neun Staaten, alle republikanisch regiert, hätten Richtlinien verabschiedet, nach denen das Unterrichten von sogenannter Kritischer Rassentheorie (»critical race theory«) nicht mehr gestattet sei. Konservative Lobbygruppen übten Druck auf die Hochschulen aus, Forschungsfelder wie Gender Studies, Umwelt- und Klimaschutz nicht weiter finanziell zu unterstützen. Zudem erlaubten einige Staaten, dass Vorlesungen und Seminare aufgenommen oder mitgeschnitten werden dürfen – auch ohne Erlaubnis der Lehrperson.

In Indien sei der Abwärtstrend eng mit der schleichenden Autokratisierung der hindu-nationalistischen Regierung verknüpft, schon 2009 beobachteten die Autoren erste negative Entwicklungen. Auch in China und Mexiko greifen Regierungen dem Bericht zufolge immer stärker in das Hochschulsystem ein.

Verbesserungen in Gambia, Usbekistan und auf den Seychellen

Die wenigen Verbesserungen in der weltweiten Wissenschaftsfreiheit fallen angesichts dieser drastischen Negativentwicklungen kaum ins Gewicht: In fünf Ländern hat sich die akademische Freiheit im Vergleich zu 2012 verbessert. Allerdings sind diese Länder – Gambia, Kasachstan, Usbekistan, Montenegro und die Seychellen – so klein, dass sie zusammengenommen gerade einmal 0,7 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.

In 152 Ländern beobachteten die Studienautoren keine nennenswerte Veränderung, auch nicht in Deutschland, das sich mit Ländern wie Belgien, Finnland, Tschechien und Argentinien in der Spitzengruppe des Rankings wiederfindet, als zu den Ländern mit größter Forschungsfreiheit gehört. Mehr als 2000 Forschende weltweit sind an der Entstehung des Rankings beteiligt, die Volkswagen Stiftung unterstützt das Projekt finanziell.

Universitäten und Bundesregierung in der Verantwortung

In einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der ZEIT  schreibt Katrin Kinzelbach, Professorin für Politik an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitautorin der Studie, jede Weltregion und Länder aller Regierungsformen seien vom Rückgang der Wissenschaftsfreiheit betroffen.

Sie sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht: Bisherige Bemühungen konzentrierten sich auf die Wissenschaftskommunikation, den Austausch und auf den Schutz bedrohter Forscherinnen und Forscher. »Solche Schutzprogramme sind wichtig, denn sie können ausgewählten Forschenden vorübergehend eine Wirkungsstätte bieten; den Rückgang der Wissenschaftsfreiheit werden sie allerdings nicht umkehren«, schreibt Kinzelbach.

Partnerschaften überdenken

Gleichzeitig sollten Universitäten institutionelle Partnerschaften mit Ländern überdenken, die einen sehr niedrigen Indexwert aufweisen, etwa Ägypten, China, der Iran, Nicaragua, Russland, Saudi-Arabien oder die Türkei. »Dabei dürfen rote Linien nicht politisch verordnet werden, die Zurückhaltung muss aus dem Wissenschaftssystem selbst kommen.«

In der Vergangenheit waren Partnerschaften zwischen deutschen Universitäten und Hochschulen in Russland oder China hierzulande heftig kritisiert und diskutiert worden. Mehrere deutsche Universitäten stellten in den vergangenen Jahren etwa die Zusammenarbeit mit den chinesischen Konfuzius-Instituten  ein, unter anderem weil sie die akademische Freiheit gefährdet sahen.

Gehring: Wissenschaftskompetenz in den Botschaften stärken

»Ob Klimakatastrophe, Biodiversitätskrise oder der Kampf gegen Armut: Gerade angesichts globaler Herausforderungen, die sich nur gemeinsam und auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse bewältigen lassen, sind wir auf den Rückenwind einer freien Wissenschaft angewiesen«, sagt Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag.

Für Deutschland könne das nur bedeuten, umso vehementer für Wissenschaftsfreiheit weltweit einzutreten. »Wir brauchen eine starke Außenwissenschaftspolitik, die die Bedeutung von freier Wissenschaft und den Schutz von bedrohten Forschenden in der ganzen Welt hochhält.«

Dafür müsse man die Wissenschaftskompetenz in den Botschaften ausbauen und Mittlerorganisationen wie den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) oder die Alexander von Humboldt Stiftung (AvH) stärken, »wie im Koalitionsvertrag vereinbart, jährlich durch einen finanziellen Aufwuchs«.

olb