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Nach Humboldt-Stipendium zu Chinas Militärkommission

Sandra Petersmann | Esther Felden | Naomi Conrad
20. Mai 2022

Das deutsche Humboldt-Stipendium ist unter Chinas Wissenschaftlern beliebt. Ein Ex-Stipendiat ist heute Mitglied der Zentralen Militärkommission. Kein Einzelfall, wie eine DW-Investigation zeigt.

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Olympiade 2022 in Peking, China | Eröffnungszeremonie
In China muss die Wissenschaft auch der Kommunistischen Partei und der Armee dienenBild: Daniel A. Anderson/Zuma/picture alliance

Das hier ist kein Spionagethriller. Deshalb verzichten wir bewusst auf die Nennung der Namen von Personen. Das hier ist eine Geschichte über die moralische Grauzone der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China.

Die Frau ist Physikerin. Spezialgebiet theoretische Teilchenphysik. Nach ihrer Promotion in China zieht es sie nach Europa. Zunächst forscht sie zwei Jahre an einem renommierten Institut für Nuklearphysik in Italien. Die nächsten drei Jahre verbringt sie dann an zwei deutschen Universitäten in Hamburg und Mainz. Die wissenschaftliche Kooperation mit China ist in Deutschland politisch gewollt. Nach Meinung der Bundesregierung "kommt (ihr) für langfristig stabile bilaterale Beziehungen eine besondere Bedeutung zu". Doch was, wenn die Forschung China bei der Aufrüstung hilft?

Heute arbeitet die Physikerin für Chinas Atomwaffen-Schmiede. Ein Wissenschaftler, der in Deutschland mit ihr und anderen chinesischen Kollegen zusammengearbeitet hat, erinnert sich: "Sie waren stark fokussiert auf das technische Arbeiten. Wenig visionär meistens, aber technisch sehr durchdacht. Und alle mit viel Schwung." Über Politik habe man nie diskutiert, sondern gemeinsam Grundlagenforschung betrieben, deren praktischer Nutzen nicht immer gleich erkennbar sei. "Den Grundlagenanteil braucht man für viele Dinge. Und dann ist es immer die Frage, welchen Nutzen man sich später auswählt."

Der Forscher hat auch selbst chinesische Universitäten besucht. Das Niveau der Wissenschaftler dort sei in den letzten zwei Jahrzehnten rasant gestiegen. "Ich weiß nicht genau, welche Ziele sich China konkret gesteckt hat, aber Grundlagenforschung wird als strategisch sehr wichtig gesehen. Das sieht man überall."

Kooperieren deutsche Unis zu eng mit China?

Chinas Atomwaffen-Schmiede

Auch an der China Academy of Engineering Physics (CAEP), an der die heimgekehrte Physikerin heute arbeitet, wird sehr viel Grundlagenforschung betrieben. Doch vor allem ist diese Akademie der einzige Ort, an dem China seine Nuklearsprengköpfe weiterentwickelt. Der australische China-Experte Alex Joske, der zum Technologietransfer forscht, hält die CAEP für eine "der beängstigendsten und besorgniserregendsten Einheiten in Chinas Forschungssystem".

Eine Suche nach aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Physikerin läuft ins Leere. Festzuhalten bleibt: Sie ist nach insgesamt fünf Jahren Forschung und Training in Europa über das bekannteste staatliche Förderprogramm an der CAEP platziert worden. Davon gibt es hunderte in China. Das sogenannte 1000-Talente-Programm richtet sich gezielt an Top-Wissenschaftler im Ausland oder mit viel Auslandserfahrung. Es lockt mit guten Budgets und modernen Labors. Auch einige deutsche Forscher haben schon daran teilgenommen.

Forschung im Dienst der Kommunistischen Partei

Unter Präsident Xi Jinping investiert die Kommunistische Partei massiv in die Wissenschaft, damit China bis 2050 zur Weltmacht aufsteigt. Die "militärisch-zivile Fusion" ist erklärtes Staatsziel. Danach muss auch die zivile Forschung der Volksbefreiungsarmee dienen. Patriotismus ist Forscherpflicht.

"Wissenschaft hat keine Grenzen, aber Wissenschaftler haben ein Vaterland", betonte Xi Jinping schon im Juli 2013. Damals war er erst wenige Monate im Amt. Im Mai 2018 machte er in einer Rede vor der Chinesischen Akademie der Wissenschaften klar: "Nur wenn wir die Schlüsseltechnologien in unseren eigenen Händen halten, können wir die nationale wirtschaftliche Sicherheit und die nationale Verteidigungssicherheit garantieren."

Wie wichtig Forschungskooperationen mit europäischen Universitäten für Chinas Aufstiegspläne sind, dokumentiert eine gemeinsame Recherche von 11 europäischen Medien unter Leitung der Investigativplattformen Follow the Money und CORRECTIV. Am Deutschland-Teil der Recherche waren neben der DW auch die "Süddeutsche Zeitung" und der Deutschlandfunk beteiligt. Wir haben herausgefunden, dass auch deutsche Wissenschaftler bis heute mit Forschern des chinesischen Militärs zusammenarbeiten. Fast 350 gemeinsame Studien belegen das.

Forscher im Profil

In einem zweiten Recherche-Schritt haben sich die DW und ihre Partner stichprobenartig mit den Lebensläufen chinesischer Spitzenforscher beschäftigt, die sich wie die Physikerin in den letzten zehn Jahren länger in Deutschland aufgehalten haben und in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik forschen. Mit Hilfe des Center for Security and Emerging Technology (CSET) der amerikanischen Georgetown University haben wir 80 Personen identifiziert.

26 besonders auffällige Profile haben wir einer Detailanalyse unterzogen: Alle arbeiten heute an Elite-Universitäten, die besonders eng mit dem Militär kooperieren. 22 der Ausgewählten sind wie die Physikerin über das 1000-Talente-Programm zurückgeholt worden. Zwölf hatten ein Stipendium der renommierten Humboldt-Stiftung.

SPERRFRIST Projekt C | Präsident Xi Jinping, Besuch in Zhuhai
Präsident Xi will, dass China bis 2050 zur alleinigen Weltmacht aufsteigtBild: Xie Huanchi/Xinhua News Agency/picture alliance

Mit Humboldt-Stipendium zur Zentralen Militärkommission

Einer der Stipendiaten, ein Chemiker, forschte von 2011 bis 2014 an zwei Spitzenforschungsinstituten in Berlin. 2015 ging er mit einem Marie-Curie-Stipendium der Europäischen Union für ein weiteres Auslandsjahr ins englische Liverpool. Heute ist er Mitglied der Abteilung für Ausrüstungsentwicklung der Zentralen Militärkommission Chinas – der höchsten nationalen Verteidigungsorganisation, angeführt von Präsident Xi Jinping. Einer der aktuellen Forschungsschwerpunkte des Chemikers ist die Lasertechnologie.

Ein weiterer Humboldt-Stipendiat, ein Plasmaphysiker, verbrachte drei Jahre an der Ruhruniversität Bochum. 2018, genau ein Jahr nach seiner Rückkehr, gewann er einen Förderpreis der Zentralen Militärkommission. Zu seinen Schwerpunkten zählen heute die Künstliche Intelligenz sowie Luft- und Raumfahrtantriebe. Seit 2020 ist er auch für die China Aerospace Science and Technology Corporation tätig. Das Labor 514, für das er dort arbeitet, beschäftigt sich nach eigenen Angaben "mit Metrologie für die Luft- und Raumfahrt und die nationale Verteidigung". Die Metrologie ist die Wissenschaft des Messens. Es geht um Genauigkeit und Kalibrierung.

Natürlich seien derartige Fälle nicht im deutschen Interesse, gibt Enno Aufderheide, der Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, zu. Dennoch glaubt er, dass Deutschland viel mehr verlieren würde als China, wenn man auf die Zusammenarbeit verzichtete. Man müsse zu den klügsten Köpfen der Welt Kontakt pflegen. "Die Chinesen verstehen Europa sehr gut, aber wir sind nicht so gut darin, die Chinesen zu verstehen. Deshalb brauchen wir diesen Austausch." Chinas Wissenschaft auf das Militärische zu reduzieren, hält er zudem für falsch. "Auch in China gibt es gute, wahrhaftige Grundlagenforschung."

SPERRFRIST | Banner Projekt C | China Science Investigation
Die Recherche ist ein Gemeinschaftsprojekt von 30 Journalisten in sieben Ländern

Nachwuchs für die Rüstungsindustrie

Ein weiterer Fall spielt an der Technischen Universität München. Hier forschte ein talentierter chinesischer Ingenieur für seine Doktorarbeit. Nach seiner Rückkehr wurde er 2019 von der Zentralen Militärkommission erst mit einem Innovationspreis und ein Jahr später mit einem Förderprogramm belohnt. Einer seiner Forschungsschwerpunkte: der Wärmeschutz für Hyperschallflugzeuge.

Der talentierte Ingenieur leitet heute mindestens drei große Projekte, die direkt von der Militärkommission finanziert werden. Zwei davon tragen den Titel "wichtige nationale Verteidigungsprojekte". Als Professor fungiert er auch als Ansprechpartner für Doktoranden, die in Deutschland studieren wollen. Im Interview mit einer chinesischen Regionalzeitung aus dem Sommer 2019 findet sich diese Antwort: "Früher war es mein Wunsch, die wissenschaftlichen Forschungsprojekte durchzuführen, die mir gefielen. Jetzt hoffe ich, mehr Menschen für die Verteidigungsindustrie auszubilden."

Ein Professor der TU München, der bis heute Kontakt zu ihm pflegt, hat uns mitgeteilt, dass er nichts von dessen Verbindungen zum Militär wusste. "Meine Themen der Zusammenarbeit mit chinesischen Kollegen waren immer zivile Anwendungen von Verbrennungsforschung."

Die Deutsche Welle und ihre Partner haben die vier hier beispielhaft erwähnten chinesischen Wissenschaftler wiederholt kontaktiert, ohne eine Antwort zu erhalten. Zwei von ihnen haben inzwischen ihre Bezüge zum Militär aus ihren Lebensläufen entfernt.

"Füttere nicht die Hand, die dich beißt"

Nach Angaben der Max-Planck-Gesellschaft sind heute "rund ein Drittel" aller wissenschaftlichen Führungspositionen in China mit Personen besetzt, die in Deutschland ausgebildet wurden. Darunter der Chemiker, der die militärische Materialforschung vorantreibt. Und der Ingenieur, der Nachwuchs für die Verteidigungsindustrie ausbildet.

Didi Kirsten Tatlow ist Co-Autorin eines Buches über Chinas Suche nach ausländischer Technologie. Sie hält Deutschlands große Offenheit gegenüber chinesischen Gastwissenschaftlern für ein ernstes Sicherheitsrisiko. "Es gibt ein englisches Sprichwort: Beiß nicht die Hand, die dich füttert. Ich würde es hier gerne umdrehen. Füttere nicht die Hand, die dich beißt."

Tatlow stellt deswegen die Systemfrage. Deutschland müsse sich fragen, "ob es sich hier um ein System handelt, das darauf abzielt, uns zu verdrängen und unsere Industrien in einer Art und Weise zu dominieren, die für uns politisch riskant und demokratisch bedenklich ist".

China Peking 2019 | Probe für Militärparade
China verfolgt das Staatsziel der militärisch-zivilen FusionBild: Kevin Frayer/Getty Images

Das hohe Gut der Forschungsfreiheit

In Deutschland ist die Forschungsfreiheit durch die Verfassung vor staatlichen Übergriffen geschützt. Die Universitäten suchen sich ihre Partner und Projekte selbst aus. "Das können und wollen wir nicht alles zentral aus Berlin machen", erklärt Jens Brandenburg. Er ist Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Deutschlands Ziel sei es, bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China "so offen wie möglich und so geschlossen wie nötig" zu sein. Gerade, wenn es um Dual-Use-Projekte gehe, die auch militärisch genutzt werden können.

"Es gibt die große Herausforderung, dass die Forschungsfreiheit von chinesischer Seite sehr stark eingeschränkt wird. Wir erleben auch einen starken Fokus auf die militärische oder zivil-militärische Verwendung", so Brandenburg. Von roten Linien hält der Staatssekretär dennoch nichts. "Mir ist vor allen Dingen sehr, sehr wichtig, dass wir die Forschungsfreiheit in Deutschland hochachten." Er sieht sein Ministerium nur in einer beratenden Rolle. Als Instanz, die aufklärt und sensibilisiert.

Deutsche Wissenschaft sieht sich gut gerüstet

Doch China ist kein Verbündeter, sondern ein "systemischer Rivale". So sieht es die EU, so sieht es auch die Bundesregierung. Aus Sicherheitskreisen ist die Sorge zu hören, dass Wissenschaftler in "ihrer eigenen Bubble" lebten, weil internationale Kooperationen für sie "die Währung schlechthin" seien. In der Forschung geht es auch um viel Geld - und China ist bereit, auch in ausländische Forschungsprojekte und Lehrstühle zu investieren. Viele Universitäten seien deshalb "ein bisschen devot" und "ein bisschen naiv".

Professor Katja Becker widerspricht. Sie ist die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). "Naivität ist wirklich nicht angesagt, weil wir diese Thematiken permanent reflektieren." Der interne Austausch der Universitäten sei intensiv, wissenschaftliche Ethikkommissionen und das zuständige Bundesamt für Exportkontrolle würden kritische Kooperationen gründlich prüfen.

"Militärische Forschung ist ausgeschlossen von der DFG-Förderung", betont Becker. Allerdings ist DFG-Geld an das technische Labor eines deutschen Spitzenforschers geflossen, der mit Kollegen der National University of Defense Technology (NUDT) zusammenarbeitet. Die NUDT untersteht direkt der Zentralen Militärkommission. Sie ist die Kaderschmiede der Volksbefreiungsarmee.

SPERRFRIST Projekt C Investigation | Militärparade 2015 in Peking
"Militärische Forschung ist von der Förderung ausgeschlossen", sagt DFG-Präsidentin Katja BeckerBild: dpa/picture alliance

Eine politische Frage

DFG-Chefin Becker verweist auch darauf, wie schnell die deutsche Wissenschaft auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert habe. Danach seien sofort alle Forschungskooperationen mit Russland auf Eis gelegt worden. "Wir haben daraus gelernt, dass Vertrauen und Hoffnung nicht immer begründet sind. Leider." Doch es brauche Vertrauen, "wenn wir die großen wissenschaftlichen Fragen der Menschheit angehen wollen".

China hat die russische Invasion nicht verurteilt und hält die USA für den wahren Aggressor. "Wir würden deswegen die Kontakte zu China auf keinen Fall abbrechen im Moment, dafür gibt es keinen Anlass", sagt DFG-Chefin Becker. Es ist unbestritten, dass die große Mehrheit der rund 60.000 chinesischen Forschenden in Deutschland einfach nur lernen will. Besorgniserregend ist das System, das ihre Forschung den militärischen Plänen der Kommunistischen Partei unterwirft. Deutschlands Umgang damit ist vor allem eine politisch-moralische Frage.

Redaktionelle Mitarbeit: eine DW-Kollegin, die aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden möchte

DW Kommentatorenbild Sandra Petersmann
Sandra Petersmann Teamleiterin Recherche & Investigation