Iran entwickelt mit europäischem Spezialwissen Kampfdrohnen

Iranische Wissenschafter erwerben an europäischen Hochschulen gezielt militärisches Wissen. Dieses kommt jetzt im Ukraine-Krieg zum Einsatz. Viele Forschungseinrichtungen sind sich des Problems noch immer nicht bewusst.

Stephan Blancke, Barnaby Skinner 5 min
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Ukrainische Rettungskräfte und Polizisten untersuchen am 14. Dezember 2022 eine zerstörte Drohne in der ukrainschen Hauptstadt Kiew. Viele der im Krieg von Russland eingesetzten Drohnen stammen aus Iran.

Ukrainische Rettungskräfte und Polizisten untersuchen am 14. Dezember 2022 eine zerstörte Drohne in der ukrainschen Hauptstadt Kiew. Viele der im Krieg von Russland eingesetzten Drohnen stammen aus Iran.

Gleb Garanich / Reuters

Am 31. Mai 2022 kehrte der 35-jährige iranische Luftfahrtingenieur Ayub Entezari nach einem Geschäftsessen in der zentraliranischen Stadt Yazd rasch heim. Ihm war übel. Sein Zustand verschlechterte sich rasend schnell. Wenige Stunden später verstarb Entezari im Spital.

Zu Entezaris Tod kursieren seither die wildesten Gerüchte. Wahlweise soll sein Essen von der iranischen Regierung, dem israelischen Geheimdienst oder von der amerikanischen CIA vergiftet worden sein. Das angebliche Motiv: die Ausschaltung iranischer Wissenschafter, die Nuklearwaffen und Drohnen entwickeln. Das iranische Regime überreichte Entezaris Familie zunächst eine Märtyrer-Urkunde. Er sei im Kampf mit dem Feind gestorben. Wenig später zog es die Urkunde aber wieder zurück. Die Todesursache sei doch natürlich gewesen.

Mitglied einer wichtigen italienischen Forschungseinheit

Entezari hatte sowohl an den bekanntesten iranischen Universitäten als auch in Italien an der Polytechnischen Universität Turin studiert und gelehrt. Dort war er unter anderem Mitglied einer Forschungsgruppe, deren Arbeit für Drohnen- und Raketentechnologie relevant ist. Genau damit beschäftigte sich Entezari auch in Iran. Bereits 2019 konnte er als Angestellter eines regierungsnahen Raketen- und Drohnenherstellers in Iran identifiziert werden.

Das Foto von Ayub Entezari aus dem Jahr 2016 wurde mittlerweile von der Website der Polytechnischen Universität in Turin gelöscht.

Das Foto von Ayub Entezari aus dem Jahr 2016 wurde mittlerweile von der Website der Polytechnischen Universität in Turin gelöscht.

Der Tod des jungen Ingenieurs ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahrzehnten sind auffällig viele iranische Wissenschafter umgekommen – viele von ihnen waren wie Entezari auch Luftfahrtingenieure oder Nuklearwissenschafter und hatten in Iran, aber auch an internationalen Hochschulen studiert und gelehrt.

Von Ardeshir Hosseinpur (Physiker) im Jahr 2007 über Massud Ali-Mohammadi (Kernphysiker) oder Majid Shahriari (Nuklearwissenschafter), beide 2010, bis hin zu Mostafa Ahmadi Roshan (Chemiker) im Jahre 2012 oder Mohsen Fakhrizadeh (Kernphysiker) 2020.

Unkritischer Umgang mit Iran

Trotzdem gilt der akademische Austausch mit Wissenschaftern aus Teheran und anderen iranischen Grossstädten in Europa oft als weniger heikel als etwa mit Wissenschaftern aus China oder Nordkorea.

Jetzt rächt sich das. Viele Hochschulen haben offenbar über Jahre nicht genauer hingeschaut, wen sie aus Iran fortbildeten. Die Drohnen, die jetzt in der Ukraine unter russischer Flagge zum Einsatz kommen, funktionieren oft nur mit technologischem Wissen, das an EU-Forschungsinstitutionen erworben wurde.

Eine Shahed-136 der iranischen Firma Shahed Aviation Industries Research Center (SAIRC), die im Ukraine-Krieg von der ukrainischen Armee geborgen und von der britischen Forschungseinrichtung Rusi fotografiert wurde. Die Hightech-Drohne besteht aus 136 deutschen und chinesischen Komponenten.

Eine Shahed-136 der iranischen Firma Shahed Aviation Industries Research Center (SAIRC), die im Ukraine-Krieg von der ukrainischen Armee geborgen und von der britischen Forschungseinrichtung Rusi fotografiert wurde. Die Hightech-Drohne besteht aus 136 deutschen und chinesischen Komponenten.

RUSI

Dabei wäre eigentlich alles über die Nähe des iranischen Doktoranden zum Mullah-Regime bekannt gewesen. Fein säuberlich dokumentiert im Internet.

So hatte Entezari an der Universität der iranischen Luftwaffe, der Shahid Sattari University of Aeronautical Engineering, studiert. Seinen Master hatte er an der iranischen Sharif University of Technology (SUT) erworben. Danach erfolgte der Wechsel an die Polytechnische Universität Turin in Italien. Entezari konnte seine Forschungen in der dortigen sogenannten Mul2 Research Group fortsetzen, geleitet vom italienischen Professor Erasmo Carrera. Die Gruppe forscht an Technologien, die in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt werden können, Raketen, Drohnen.

Des Weiteren hätte eine simple Suche in der öffentlich zugänglichen Datenbank der Europäischen Kommission gereicht, um festzustellen, dass die Schule sowohl von der Uno als auch der EU mit Sanktionen belegt wurde. Weshalb die italienische Hochschule die Checks versäumt hatte, wollte sie auf Anfrage nicht kommentieren.

Eintrag zu Entezari auf der Website ist gelöscht

Wären die Universität und die Visumsbehörden aufmerksamer gewesen, wären sie im Internet auch auf weiteres verdächtiges Material über Entezari gestossen. So begann der iranische Ingenieur 2012 seine Doktorarbeit am Department of Aerospace Engineering an der SUT. Sein Doktorvater war der bekannte iranische Nuklearwissenschafter Mohammad Ali Kuchakzadeh.

Der Eintrag zu Entezari auf der Website der Turiner Universität ist mittlerweile gelöscht. Doch mit einer Internet-Archiv-Suche lässt sich rekonstruieren, dass sich der iranische Wissenschafter in drei weiteren universitären Forschungsgruppen engagierte. Hier vernetzte er sich und tauschte sich mit anderen Institutionen aus, die regelmässig in Verfassungsschutzberichten und auf Sanktionslisten Erwähnung finden. Dazu zählen Wissenschafter aus pakistanischen und chinesischen Einrichtungen, welche seit Jahren für Spionage und die Umgehung von Sanktionen bekannt sind.

Die pakistanische Strategic Plans Division beispielsweise. Eine militärische Einrichtung, die unter anderem den Einsatz der pakistanischen Nuklearwaffen koordiniert. Die dortigen Forschungsresultate werden gelegentlich an Staaten wie China, Iran oder Nordkorea weitergegeben.

Der ermordete Wissenschafter Ayub Entezari (in der blauen Jacke mit den roten Streifen) im Gespräch mit dem damaligen Präsidenten Hassan Rohani (im Zentrum) am 10. November 2019 in einer Turbinenfabrik der Firma Gitco.

Der ermordete Wissenschafter Ayub Entezari (in der blauen Jacke mit den roten Streifen) im Gespräch mit dem damaligen Präsidenten Hassan Rohani (im Zentrum) am 10. November 2019 in einer Turbinenfabrik der Firma Gitco.

president.ir

Entezari war auch ein fleissiger Besucher von Konferenzen, die für militärische Entwicklungen interessant sind, etwa der International Conference on Mechanics of Advanced Materials and Structures. Diese Konferenz findet jährlich statt, ebenfalls in Turin. Auf einem Video aus dem Jahr 2019, das auf Youtube zu finden ist, ist der Wissenschafter gar mit dem früheren Präsidenten Hassan Rohani zu erkennen. Entezari führt dem Politiker bei einem Rundgang der Firma Ghadir Industrial Turbines Company (Gitco) allerhand technisches Material vor. Wenig später engagiert die regierungsnahe Firma Gitco den Wissenschafter Entezari als Berater im Bereich Drohnen- und Raketenbau in Iran.

Die Firma Gitco hat es überhaupt in sich. So scheint sie nicht nur via ihren Mitarbeitern, sondern trotz der Nähe zum iranischen Regime auch direkt mit europäischen Grossunternehmen ganz offen Beziehungen zu pflegen. Gitco führt auf ihrer Website und in ihren aktuellen Unterlagen Komponenten auf, die sie mithilfe des Wissens von Siemens nachgebaut hätten. Darunter sind auch Bauteile, die ausschliesslich zur Urananreicherung eingesetzt werden.

Siemens-Bauteile für Turbinen, die die Firma Gitco auf ihrer Website aufführt.

Siemens-Bauteile für Turbinen, die die Firma Gitco auf ihrer Website aufführt.

Gitco.ir

Siemens Energy erklärte auf Anfrage, dass «das Fertigungs-Know-how für die genannten Turbinentypen und -komponenten [. . .] vor einigen Jahren exportkontrollrechtlich konform an einen damaligen Kooperationspartner in Iran transferiert [wurde]». Die betreffenden Verträge seien aber mittlerweile beendet.

Ob dieser Partner wiederum Gitco als Lieferanten qualifiziert hat, oder ob Gitco, wie deren Website nahelegt, die Komponenten nachgebaut hat, ist nicht bekannt. Die ergänzenden Rückfragen zum damaligen Kooperationspartner wurden von Siemens Energy ignoriert.

Server der Firma Gitco stehen wohl in Deutschland

Es gibt noch weitere Verbindungen der Firma Gitco zu Deutschland. So wurden die Server der Website von Gitco von der deutschen Firma Hetzner betreut – einem der grössten Betreiber von Rechenzentren in Europa. Mit grosser Wahrscheinlichkeit befanden sich auch die Server physisch in Deutschland. In einer Stellungnahme erklärte Hetzner, dass man keine Kenntnis dazu habe, «wer letztlich unser Kunde ist, was auf diesen Servern betrieben wird oder welche Domain auf diese Server zeigt». Man sei jedoch dem Sachverhalt nachgegangen: «Nachdem wir den Kunden kontaktiert haben, wurde die Website von uns abgezogen.»

Wie sehr iranische Firmen vom Wissen profitieren, das sich ihr Personal an europäischen Hochschulen angeeignet hat, bestätigt auch James Byrne, Direktor des britischen Royal United Services Institute. Die unabhängige Forschungseinrichtung ist auf Verteidigungsfragen spezialisiert. Byrne gab an, dass man bisher im Ukraine-Krieg viele unversehrte Drohnen bergen konnte. Man habe erkennen können, dass sie in hohem Masse auf Komponenten und Mikroelektronik aus dem Westen angewiesen seien. Ohne das Wissen, das an europäischen Universitäten erworben wird, wäre ein Grossteil der Drohnenangriffe gar nicht möglich.

Mitarbeit: Forrest Rogers.