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Was nach dem Sturm bleibt
Die Auswirkungen der Pandemie in Namibia

18. Mai 2022 | Von Lisa Ossenbrink
Die Situation für Frauen in Namibia ist nach der Pandemie alles andere als einfach. Fotos: Julia Runge

Unterprivilegierte Frauen in Namibia tragen die Last der Pandemie verstärkt auf ihren Rücken. Größere finanzielle Not, mehr Pflegearbeit und häusliche Gewalt treffen die marginalisierte Gruppe inmitten von Armut und Aussichtslosigkeit mehr als den Rest der Bevölkerung.

Von Lisa Ossenbrink und Julia Runge, Windhuk

Marleen lacht oft und viel.

„Es kam aus dem Nichts.“ Marleen* schluckt. „Als wir das erste Mal etwas über die Corona-Pandemie in den Nachrichten hörten, fragten wir uns, ob die Pandemie überhaupt jemals hier – in einem Land wie Namibia – ankommen würde.“ Doch sie kam: Der erste Corona-Fall wurde am 14. März 2020 in Namibia entdeckt. Drei Tage später wurde der Notstand ausgerufen, die Grenzen für sechs Monate geschlossen und ein harter Lockdown verhängt.

Marleen erinnert sie sich an die schwierige Entscheidung, die sie zu Beginn der Pandemie fällen musste: „Zu der Zeit arbeitete ich in einem Hotel. Zu Beginn bezahlten uns die Betreiber noch anteilig. Aber wir wussten einfach nicht, wann wir die Türen wieder öffnen könnten. Es kamen keine Tourist*innen mehr ins Land. Nach einer Weile konnten sie uns nicht weiter bezahlen. Statt alleine im Hotel zu bleiben, kam ich nach Hause zurück.“

Und plötzlich fängt die sonst strahlende und lachende Marleen an zu weinen. „Meine Mutter musste einen weiteren Kredit für unser Haus aufnehmen, als ich meinen Job verloren habe. Die Bank hat sie dauernd angerufen. Meine ganze Familie hat die Auswirkung meiner Arbeitslosigkeit gespürt, weil ich die einzige Brotverdienerin war.“ So wie Marleen erging es vielen Namibier*innen. Insbesondere in der Gastronomie, dem Tourismus und im Reinigungsgeschäft fielen viele Arbeitsplätze zu Beginn der Pandemie aufgrund strikter Restriktionen und des Lockdowns weg. Dort sind zumeist Frauen aus schwachen sozioökonomischen Hintergründen beschäftigt.

 

Die Fotos stammen von der freien Fotografin Julia Runge, die das Projekt “What The Storm Has Left” mithilfe von VG Bildkunst und der Deutsch-Namibischen Gesellschaft e. V. umsetzen konnte. Weitere Infos und Fotos: http://juliarunge.com/project/what-the-storm-has-left/.

 

Dabei ist die Situation in den namibischen Townships anders als in Deutschland: Schon vor der Pandemie lebten die Menschen hier von der Hand in den Mund. Arbeitslosigkeit ist mit einer Quote von 34 Prozent eines der drängendsten Probleme im Land. Und von den niedrigen Löhnen lassen sich kaum Ersparnisse ansammeln. Wie im Fall von Marleen gibt es oft nur eine einzige Person mit einem Job, die für eine gesamte Familie sorgen muss.

Eine Studie des „United Nations Population Fund“ (UNFPA), die den Einfluss der Corona-Pandemie auf namibische Haushalte im März 2021 untersuchte, stellte heraus, dass Beschränkungen wie Ausgangssperren, Alkoholverbot und Geschäftsschließungen zu Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten führten: Knapp 50 Prozent der Befragten gaben an, dass sie aufgrund von Covid-19 ihre Arbeit aufgeben mussten. Weitere 18,4 Prozent der Befragten (Stadt) bzw. 11,9 Prozent (Land) berichteten, dass sie entlassen wurden, obwohl das Unternehmen geöffnet blieb.

Unzureichende medizinische Versorgung

„Meine Zukunft läuft nur rückwärts“, sagt die zierliche 19-jährige Sharifa* leise. Sie hält keinen Augenkontakt, während sie von den gravierenden Erfahrungen des vergangenen Sommers erzählt. „Ich habe nichts in meinem Leben, auf das ich mich fokussieren kann. Mein Leben besteht nur aus Problemen über Problemen über Problemen.“

Sharifa macht sich Sorgen um die Zukunft.

Ihre Stimme klingt emotionslos. Fast so, als müsste sie jegliche Gefühle unterdrücken, weil sie sonst unter der Wucht ihrer Worte zusammenbrechen würde. Im Sommer 2021 – inmitten Namibias dritter und tödlichster Welle – kam ihre Mutter mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus. Sie sollte nicht mehr nach Hause kommen. Sharifa war zu der Zeit schwanger, erlitt aber aufgrund ihrer Trauer eine Fehlgeburt.

„Meine Tante will meine Geschwister und mich nicht länger im Haus meiner Mutter wohnen lassen. Sie schmeißt uns raus“, schildert die junge Frau ihre derzeitige Situation. Ihr schwarzes Kleid mit weißen Punkten wirkt zu groß für ihre schmale Figur. Die geflochtenen Haare lassen sie älter erscheinen, als sie ist. Vielleicht sind es auch ihre Sorgen.

Die medizinische Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern ist gemeinhin als unzulänglich bekannt. Laut einer Untersuchung der Universität von Namibia sind nur 18 Prozent der Bevölkerung durch die Krankenkassen abgesichert. Die verbleibenden 82 Prozent müssen durch das öffentliche Gesundheitssystem oder durch private Ausgaben, die für viele unmöglich aufzubringen sind, finanziert werden. Die öffentlichen Krankenhäuser leiden jedoch unter Überfüllung und langen Wartezeiten. Daher ist es wenig überraschend, dass alternative und traditionelle Heilmethoden wie die Kräuterkunde besonders beliebt sind.

Die Kräuterkundige Christa* in Mondesa zeigt auf ihre Mittel, die sie sowohl bei Erkältungen als auch bei Corona-Infektionen verteilt. Kräuter werden unter Dampf eingeatmet und sollen so das Immunsystem stärken. Zu Beginn der Pandemie war Elefantenkot sehr gefragt, da ihm schützende Kräfte gegen Infektionen nachgesagt wird. Christa arbeitet ebenfalls als Hebamme und unterstützt Frauen, die ihre Kinder während der Pandemie auf die Welt bringen – denn auch für die Schwangeren ist eine medizinische Versorgung nicht garantiert.

Christa hat für jedes Wehwehchen Kräuter parat.

„Es war beängstigend, während Corona schwanger zu sein“, erinnert sich die in Mondesa lebende Marion*. Neben der ärztlichen Behandlung ist auch ein weiterer Zugang limitiert: der zu faktenbasierten Informationen. Jo-Ann und Marion, Schwestern im Township Swakopmunds, sind ungeimpft. Sie sagen: „Wir haben Angst vor der Impfung, weil viele unserer Bekannten Videos mit Horrorszenarien auf Facebook und YouTube hochladen.“

Falschinformation führt zu Impfskepsis

Nach derzeitigem Stand haben etwa 17 Prozent der namibischen Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten. Im Land verfügbar sind die verschiedenen Impfstoffe von BioNtech sowie AstraZeneca, der in Indien hergestellt wird, Sinopharm und Johnson & Johnson. Die meisten Impfdosen sind über den COVAX-Zusammenschluss der namibischen Regierung erworben worden. COVAX steht dabei für eine weltweit gerechte Verteilung von Impfdosen, auch an wirtschaftlich schwächere Länder.

Der namibische Gesundheitsminister Kalumbi Shangula verkündete im Januar 2022 in einer Pressemitteilung, dass Desinformation eine reale Gefahr inmitten Namibias vierter Corona-Welle mit der Omikron-Mutation darstelle. „Wir nehmen die hartnäckigen und anhaltenden Anti-Impf-Kampagnen mit Besorgnis zur Kenntnis. Die falsche Behauptung, dass die an Corona sterbenden Menschen geimpft sind, obwohl die offiziellen Zahlen zeigen, dass 97 Prozent der Einlieferungen in Krankenhäuser von ungeimpften Personen stammen, ist gefährlich“, so Shangula. Der Gesundheitsminister forderte die Bevölkerung auf, sich impfen zu lassen, da das nach wie vor eine der wirksamsten Präventivmaßnahmen ist.

Eine zweite, unsichtbare Pandemie

Neben Sorgen um die eigene Gesundheit sowie der von geliebten Menschen, finanziellen Nöten und erschwertem Zugang zu faktenbasierten Information spitzte sich eine weitere Problematik für viele Frauen durch häusliche Gewalt weiter zu. Die 22-jährige Desire* erzählt im Zuge unserer Recherchen mit gedämpfter Stimme, dass ihr Freund sie manchmal schlage. Und dass sie ihm trotzdem immer wieder verzeihe, weil er ihr Essen für ihre zwei gemeinsamen Kinder bringe. Und weil sie ihm, solange sie in Mondesa lebt, immer wieder begegnen wird. „Ich sehe keine Zukunft mehr. Ich wollte mal Ärztin werden. Dermatologin“, flüstert sie.

Die Menschen in Namibia vertrauen Kräutern aus der Natur mehr als Tabletten aus der Apotheke.

Allein zwischen September 2019 und September 2020 hat die namibische Polizei landesweit mehr als 5.000 Fälle von Gewalt gegen Frauen, 800 Fälle von Vergewaltigung und 74 Femizide registriert. Die Zahlen zeigen, dass die Pandemie die bereits bestehenden Problematiken wie häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen immens verschlimmerte. 

Deprose Muchena, Direktorin der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ für das südliche Afrika und Ostafrika, sagt, dass der Anstieg der Gewalt gegen Frauen in der Region durch bestehende strukturelle Probleme wie Armut, Ungleichheit, Kriminalität, hohe Arbeitslosigkeit und systematisches Versagen der Strafjustiz verstärkt wurde.

Sharon hat durch die Pandemie “durch Gott zu sich gefunden”.

Für die Namibierinnen in den Verwaltungsbezirken von Mondesa und Katutura sind viele dieser strukturellen Probleme Realität. Sie müssen ihre Kinder, Eltern und Geschwister versorgen, mit Verlusten umgehen und finanzielle Not bewältigen – während die namibische Regierung keinerlei soziale Unterstützung leistet.

Sharon*, die in einem Haus mit 20 anderen Menschen lebt, sieht die Pandemie als eine der Wenigen als etwas Gutes an. „Ich habe durch Gott zu mir gefunden“, strahlt sie. „Jetzt kreiere ich endlich wieder selber etwas Schönes.“ Voller Stolz zeigt sie auf ihre selbstgenähten Spielzeuge und Dekorationen, die aussehen wie kleine Kugeln mit bunten Stacheln. Trotz ihrer Freude wird eines schnell klar: Ihre Erfahrung scheint die Ausnahme zu sein. Mehr als 90 Prozent der namibischen Bevölkerung identifizieren sich als gläubige Christ*innen. Solange in den Townships die Situation so bleibt, wie sie ist – voller Armut, Arbeitslosigkeit und ohne Aussicht auf Besserung – ist der Glaube vielleicht auch das Einzige, was ihnen bleibt.

* Die Autorin verzichtet bewusst auf die Nachnamen der genannten Frauen, weil ihre Situationen und Geschichten heikel sind und sie vor Anfeindungen Dritter geschützt werden sollen.

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Von Lisa Ossenbrink, Windhuk

Lisa Ossenbrink berichtet als freie Korrespondentin aus Namibia. Sie schreibt über Menschen, Macht und internationale Beziehungen zwischen Europa und Sub-Sahara Afrika. Zu ihren Schwerpunktthemen zählen insbesondere Frauen- und digitale Rechte. Sie hat in Köln und Paris Philosophie sowie in Arhaus und Amsterdam Journalistik, Politik und Globale Studien studiert. Mehr unter: https://lossenbrink.contently.com

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Eva TempelmannMünster / Lima
Bis zu 40 Prozent der Frauen machen bei der Geburt ihrer Kinder gewaltvolle, teils traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Lena Högemann wirft in ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ einen feministischen Blick auf die Geburtshilfe und zeigt Wege auf für mehr Selbstbestimmung.

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