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Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, am 9. Januar 2023 bei einer Podiumsdiskussion des Universitätsverbandes German U15 an der Freien Universität Berlin im Henry-Ford-Bau.

© Bernd Wannenmacher / Bernd Wannenmacher

Die Unis und die Zeitenwende: Rote Linien für den Austausch

Mit Russland wurden offizielle Wissenschaftskooperationen gestoppt. Was daraus etwa für China folgt, wurde jetzt an der FU Berlin diskutiert.

„Entweder sie sind geflüchtet und es rücken Systemtreue nach. Oder sie ziehen sich zurück.“ So beschreibt Sabine Kropp, Professorin für das Politische System der BRD am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, das Dilemma im individuellen Austausch mit Forschenden in Russland.

Dass es richtig war, seitens der deutschen Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen, nach dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 die institutionellen Kontakte zur dortigen Wissenschaft abzubrechen, ist Konsens auf dem Podium im Henry-Ford-Bau der FU.

Doch es schwingt die Sorge mit, die Russlandforschung könne erneut beschnitten werden, obwohl die Expertise unabhängig vom angeblichen „Ende der Geschichte“ und von Kriegs- und Friedenszeiten vorgehalten werden müsse.

Ein Präzedenzfall für den Abbruch der offiziellen Beziehungen sei die gefälschte Präsidentenwahl in Belarus im August 2020 gewesen, sagte Julia von Blumenthal, die am Montagabend über die „Folgen der Zeitenwende für die Wissenschaft“ mitdiskutierte.

„Ehrlicher fragen, wo die roten Linien sind“

„Die institutionellen Partnerschaften zu beenden, war da keine Frage“, so Blumenthal. Angesichts des ungleich bedeutenderen Wissenschaftssystems in Russland, aber auch in China, müsse sich die deutsche Wissenschaft jetzt aber „mit mehr Ehrlichkeit fragen, wo die roten Linien seien“, wenn es auch um das Eigeninteresse gehe.

Wenn wir Beziehungen nur zu Ländern pflegen, die oben im Demokratie- und Menschenrechtsindex stehen, würde es sehr einsam um uns.

Sabine Kropp, Politikwissenschaftlerin, Professorin am OSI der FU

Dazu gibt Ruppert Stüwe, SPD-Bundestagsabgeordneter für den FU-Heimatbezirk Steglitz-Zehlendorf, zu bedenken: „Die Kooperation im Weltraum zu beenden, war absolut unmöglich – auch das ist Wissenschaftsrealpolitik.“ Trotz der gekappten institutionellen Kanäle müsse Deutschland zumindest akademische Schutzräume für im Land bleibende oder geflüchtete oppositionelle Wissenschaftler:innen und Studierende aus Russland bieten, was auch nicht ohne Kooperation möglich sei.

Lange dreht sich auf dem Podium fast alles um Russland, nach dem Moderator Jan Wöpking, Geschäftsführer des einladenden Universitätsverbandes German U15 auch hauptsächlich fragte. Ob es die Wissenschaft nicht fundamental verändere, dass die Politik vorgebe, Kooperationen zu beenden?

„Wollen wir diese Zäsur von der Wissenschaftsaußenpolitik zur Wissenschaftsrealpolitik?“ Nina Stahr, Grünen-Abgeordnete aus Steglitz-Zehlendorf und wissenschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, bejahte dies in Hinblick auf Russland, wo sie bereits umgesetzt sei. Und weitete den Blick auf China.

Werbung in Peking, der Luftwaffe der Chinesischen Volksbefreiungsarmee beizutreten. Am 8. Januar begannen neue chinesische Militärmanöver vor Taiwan.
Werbung in Peking, der Luftwaffe der Chinesischen Volksbefreiungsarmee beizutreten. Am 8. Januar begannen neue chinesische Militärmanöver vor Taiwan.

© Andy Wong/dpa

Was, wenn es seine Angriffspläne gegen Taiwan wahr mache – zusätzlich zu den massiven Menschenrechtsverletzungen? „Ist Taiwan die rote Linie oder müssen wir schon jetzt die wissenschaftliche Zusammenarbeit überdenken?“, fragte Stahr. Ottilie Klein, CDU-Abgeordnete aus Mitte, erinnerte an die Rolle der Wissenschaftsdiplomatie, in der es immer die Devise gewesen sei „Kanäle offenzuhalten“.

Unterstützung der Ukraine angemahnt

OSI-Professorin Sabine Kropp warnte davor, von Science diplomacy in dem Sinne zu viel erwarten, als dass sie zu einem allmählichen Systemwandel in den Austauschländern führen könnte. Zum einen sei auch „das Verstehen von Ländern, die nicht demokratisch sind“ zentral für die globale Kompetenz von Studierenden, Forschenden und Lehrenden. Zum anderen „würde es sehr einsam um uns, wenn wir Beziehungen nur zu Ländern pflegen, die oben im Demokratie- und Menschenrechtsindex stehen“.

Dass zumindest kurz auch noch die Ukraine als Partnerland ins Blickfeld rückte, war HU-Präsidentin Julia von Blumenthal zu verdanken. Zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Russland nach der Auflösung der Sowjetunion gehöre auch, dass Putin das Ziel verfolge, „die Ukraine, ihre Kultur und staatliche Einheit zu zerstören“.

Deshalb müsse man sich vorrangig fragen, wie das ukrainische Hochschulsystem auch im Krieg aufrechtzuerhalten sei, so Blumenthal. Dort hätten deutsche Universitäten eine Rolle: Kooperationen trotz der Fluchtsituation fortzuführen, hier lebenden Studierenden und Wissenschaftlern zu helfen, Kontakt in die Heimat zu halten, um sich dann am Wiederaufbau zu beteiligen.

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