Zwei Holzfiguren sitzen sich wie im Dialog gegenüber.
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Standpunkt
Die Wissenschafts-Diplomatie muss weitergehen

Wie steht es um die internationalen Wissenschaftsbeziehungen angesichts des Ukraine-Krieges? Der Präsident der Humboldt-Stiftung erörtert die Lage.

Von Hans-Christian Pape 05.05.2022

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird an viele Politikfelder die Frage gerichtet, ob kritische Warnsignale ignoriert worden sind und wie der zukünftige Umgang mit Russland zu gestalten sei. Diese Frage muss sich auch die Wissenschaft gefallen lassen, in der Wissenschaftsfreiheit und Vertrauen das Wertegerüst bilden, auf das nicht zuletzt die Wissenschaftsdiplomatie setzt. Ist die Wissenschaftsdiplomatie gescheitert, weil sie Exzesse autoritärer Regime nicht verhindern kann? Müssen die Wissenschaftsbeziehungen mit Russland vollständig auf Eis gelegt werden?

Es ist unbestreitbar: Der brutale Krieg und die Verletzung der Menschenrechtskonvention erfordern harte Reaktionen gegen den Aggressor sowie Solidarität und Hilfe für die Ukraine und alle, die vor dem Krieg fliehen. Hilfsprogramme für geflohene Forschende, wie die Philipp Schwartz-Initiative der Humboldt-Stiftung, sind genauso wichtig wie der Stopp institutioneller Kooperationen mit der russischen Forschung als Teil der Sanktionen.

Werte einhalten und durchsetzen

Gerade in der aktuellen Situation muss klar sein, dass die Freiheit der Wissenschaft nicht allein ein übergeordnetes Ideal ist, sondern dass sie praktisch gestaltet werden muss. Dazu zählt die Einhaltung ihrer Werte mit transparenter und erkenntnisoffener Forschung, fairer Teilung von Erträgen und Respektierung geistigen Eigentums. Kritischer als bislang müssen diese Werte geprüft und durchgesetzt werden. Dieses gilt bis zur Ebene der individuellen Kooperation und insbesondere, wenn sich diese im Kontext divergierender politischer Machtblöcke entfalten soll. Gerade hier zeigt sich allerdings auch, dass zur Gestaltung entlang der "roten Linien" das gegenseitige Vertrauen unverzichtbar ist.

"Langfristig wirkt sich eine freie Wissenschaft positiv auf die Offenheit von Gesellschaften aus."

Richtig ist auch diese Lehre: Die Wissenschaftsdiplomatie ist wenig geeignet als kurzfristiges Werkzeug, das aggressive machtpolitische Auseinandersetzungen beenden könnte. Langfristig jedoch wirken sich eine freie Wissenschaft und die mit ihr gelebten Werte positiv auf die Offenheit von Gesellschaften aus. Nach dem Überfall auf die Ukraine initiierten Forschende in Russland, darunter zahlreiche Humboldtianerinnen und Humboldtianer, ein Protestschreiben gegen den Krieg, das bis zu seinem Verbot rund siebentausendmal unterzeichnet wurde. Diese Gegnerinnen und Gegner des Krieges sehen sich massiven Repressalien ausgesetzt. Ein genereller Stopp der individuellen Förderung würde nicht nur den wissenschaftlichen Braindrain fördern, sondern auch diese potenziellen Reformkräfte schwächen. Differenzierung und Reflexion, Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Kommunikation und Unterstützung derer, die sich den Werten einer offenen Gesellschaft verpflichtet fühlen – auch das sind Gebote der Stunde. Ein pauschaler Stopp der individuellen Förderung von Forschenden aus Ländern wie Russland wäre falsch, auch wenn sicherlich nicht alle gegen das Putin-Regime und den Krieg sind. Hier lehrt uns die eigene Geschichte, Individuen nicht mit Systemen gleichzusetzen.

Wissenschaftsdiplomatie bewirkt keine schnellen Wunder. Vertrauen ist auch kein Ersatz für die Einhaltung freiheitlicher Werte in der Wissenschaft. Doch beide sind und bleiben unverzichtbar als Teil einer Real-Außenpolitik der kleinen, zukunftsgewandten Schritte, die auf der Basis individueller Förderung hilft, die größeren Schritte in Richtung freiheitlicher Grundordnungen machen zu können.