· 

Das Ende der Internationalisierung, wie wir sie kannten?

Der akademische Austausch erlebt tektonische Verschiebungen, die weit über die aktuellen Krisen hinausreichen.

Der Weg ins Ausland wird auch für Studierende und Wissenschaftler schwieriger. Foto: Olga Kropman / Pixabay.

RUSSLAND UND BELARUS wollen aus dem Bologna-Abkommen aussteigen und durch ein System eigener Abschlüsse ersetzen. "Die Zukunft gehört unserem eigenen einzigartigen Bildungssystem, das auf den Interessen der Volkswirtschaft und den maximalen Möglichkeiten für jeden Studierenden basieren sollte", zitierte die Moscow Times den russischen Wissenschafts- und Hochschulminister Valery Falkow. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patrushev, forderte gar die Rückkehr zu den früheren Sowjet-Abschlüssen, was seines Erachtens das "beste nationale Bildungssystem der Welt" gewesen sei. Sollte es sich um mehr als Kriegsrhetorik handeln, wäre die Isolation von Russlands Hochschul- und Wissenschaftssystem auf sehr lange Zeit besiegelt, die Wiederannäherung an den Westen würde noch schwieriger.

 

Fast zeitgleich hat die britische Regierung vergangene Woche ein neues Visa-Programm für Akademiker vorgestellt, das vor allem ausschließt. So sollen nur die Absolventen der 50 besten Hochschulen weltweit in den Genuss einer Aufenthaltserlaubnis für zwei bis drei Jahre kommen – unabhängig davon, ob sie schon einen Arbeitsvertrag haben oder nicht. Was die 50 besten Hochschulen sind, bestimmen skurrilerweise internationale Hochschulrankings wie das von Times Higher Education oder QS Quacquarelli Symonds. Sie sind nicht nur methodisch umstritten, sie ändern sich auch noch jedes Jahr. Für zwischen November 2021 und Oktober 2022 erworbene Abschlüsse kämen aus Deutschland zum Beispiel nur ehemalige Studierende der LMU München in Frage, berichtete die FAZ, für das Jahr davor Studierende der TU München und noch ein Jahr früher Absolventen der Uni Heidelberg. Mehr bleibt von der einstigen EU-Freizügigkeit für internationale Akademiker in Großbritannien nicht übrig.

 

Herbe Einschnitte in der Internationalisierung gibt es auch in Australien, wo das über Jahre perfektionierte Geschäftsmodell australischer Hochschulen in einer existentiellen Krise steckt. Dem Land mit nicht einmal 26 Millionen Einwohnern war es gelungen, durch gute Studienbedingungen und ein ebenso gutes Marketing zum zweitgrößten Gastland für internationale Studierende weltweit zu werden. Über deren Studiengebühren finanzierte der Kontinent einen Großteil der eigenen Forschung und Lehre – bis 2020 Corona kam, der Rückgang der Neueinschreibungen aus dem Ausland 23 Prozent erreichte und 2021 sogar auf 31 Prozent stieg.

 

Das Zusammenspiel
internationaler Schocks

 

Ein Großteil der internationalen Studierenden in Australien stammt aus China, was angesichts der zunehmenden Spannungen mit dem Westen eine baldige Rückkehr zur alten Austauschdynamik unwahrscheinlich macht. So unwahrscheinlich, dass neulich der US-australische Nobelpreisträger Brian Schmidt von der Labor-Regierung forderte, die Hochschulfinanzierung des Landes komplett neu aufzusetzen. "Why would you want to have your research system built upon an international student market that just doesn’t exist any longer?", sagte er Times Higher Education.

 

Nur drei – noch dazu sehr unterschiedlich gelagerte – Beispiele. Aber sie stehen stellvertretend für die Erwartung vieler, dass das Zusammenspiel von internationalen Schocks wie Brexit, Corona und Ukraine-Krieg das Ende der akademischen Internationalisierung bedeuten könnte, wie wir sie kannten. 

 

Für Deutschlands Hochschulen besteht in alldem eine Herausforderung und eine Chance. Die Herausforderung: Sie müssen neue Wege hin zu akademischen Kooperationen suchen in einem Umfeld, das diese oft mehr verhindert als begünstigt. Die Chance: Wo andere sich verschließen, kann man durch die eigene Offenheit mittelfristig gewinnen – an internationalem Einfluss und an internationalen Talenten. Dazu muss man die Organisationen, die den Austausch ermöglichen, allerdings anständig ausstatten – wozu nicht passt, dass das Auswärtige Amt dem DAAD und der Humboldt-Stiftung die Grundhaushalte kürzt. Eine Frage der Glaubwürdigkeit für Außenministerin Annalena Baerbock. 

 

Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.



></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Ruth Himmelreich (Dienstag, 14 Juni 2022 09:29)

    Natürlich erwachsen daraus Chancen, zumal Deutschland ein Land mit keinen oder im internationalen Vergleich minimalen Studiengebühren für internationale Studierende ist.
    Angesichts der Situation, dass aus den Gebühren kein nennenswerter Beitrag zur Finanzierung unserer Hochschulbildung geleistet wird, sollte man aber Schwerpunkte setzen, in welchen Fachrichtungen wir Absolventen benötigen und entsprechende internationale Studierende gezielt anwerben, auch mit Stipendien. Das sind, um es deutlich auszusprechen, nicht die "Hanna"-Fächer, in denen es in der Wirtschaft so wenige Stellen gibt, dass auch 9 Monate E13 noch attraktiv sind...

  • #2

    Noch 'ne Hanna (Dienstag, 14 Juni 2022 11:14)

    Vielleicht ist es auch nur das Ende der "Top-Down"-Internationalisierung. Die jetzigen Studierenden sind notwendigerweise global orientiert, weil mit dem Klimawandel ein globales Thema für ihre Generation prägend ist. Das ist auch in anderen Bereichen spürbar, wie z.B. Lieferketten. Es könnte also sein, dass es weniger große, von den Hochschulleitungen verantwortete Programme gibt, dafür aber mehr Internationalität insgesamt, z.B. in Form von Abschlussarbeiten. Die Herausforderung besteht darin, diese Form der Internationalisierung zu fördern.

  • #3

    Django (Dienstag, 14 Juni 2022 11:46)

    Die britische Regierung scheint ja generell der Meinung zu sein, dass Arbeitskräfte von außerhalb nicht benötigt werden. Warum soll für Akademiker etwas anderes gelten als für LKW-Fahrer oder Erdbeerpflücker? Also werden sie widerwillig in kleinen Zahlen ins Land gelassen.

  • #4

    Leander K (Mittwoch, 15 Juni 2022 14:58)

    Eine Chance aber auch eine Herausforderung. Ich nehme unsere Hochschulen als nicht besonders international wahr. Sowohl die Professorenschaft kommt höchstens mal aus Österreich (wenn nicht gar die selbe Uni!) also auch die Studiengänge, welche oft unnötig viel auf deutsch abgehalten werden. Es wäre eine Chance, wie Ruth Himmelreich schon erwähnt hat, die besten zu holen um das Land nachhaltig zu stärken. Dafür sollten in bestimmten Studiengängen sowohl internationale Studierende aktive angeworben werden, als auch Studiengebühren eliminiert, Studiengänge optimiert und ein Studienkredit-System etabliert werden.


    Ich würde gerne das ganze mal volkswirtschaftlich betrachten. Ich wette dass viele nach dem Abschluss im Land bleiben und sich ein Leben aufbauen, deren Steuern sollten das ganze doch recht schnell wieder reinholen, besonders wenn diese in gefragten Fächern arbeiten. Dann sollte es sich doch lohnen da mal ordentlich rein zu investieren...so lange studiert man auch nicht, da sollten Effekte recht schnell spürbar sein. Ich würde sogar den Studienkredit mit der Arbeit hier nach dem Abschluss verrechnen, als Anreiz im Land zu bleiben.


    Es würde den Ruf der Universitäten stärken, dem Land gut ausgebildete Leute zuführen und auch etwas den internationalen Austausch der eigenen Studienrendenschaft verbessern. Meiner Erfahrung ist es für internationale Studierende immer noch sehr schwer hier in Deutschland fuß zu fassen, daran muss gearbeitet werden.

  • #5

    Klaus Diepold (Freitag, 17 Juni 2022 19:59)

    @Leander K

    diese Argumentation wird häufig verwendet um zu rechtfertigen, dass der deutsche Steuerzahler die Ausbildung von Studierenden aus dem nicht-europäischen Ausland finanziert. Die Absolventen bleiben mit nichten nach dem Abschluss in Deutschland. Viele kehren unmittelbar oder kurz nach dem Abschluss in ihre Heimatländer zurück. Das sollte man auch unter dem Hintergrund der oft beklagten schlechten Betreuungsrelationen in deutschen Unis betrachten. In anderen Ländern bezahlen ausländische Studierende auch Studiengebühren. Warum bei uns nicht? Bei Lehrveranstaltungen (in englischer Sprache) mit einem 70%-igen Anteil an ausser-europäischen Studierenden kommt man dann schon ins grübeln.