Hat der Westen das grosse Technologie-Wettrennen gegen China bereits verloren?

China schlägt laut einer australischen Denkfabrik bei 37 von 44 Schlüsseltechnologien die USA. Die Stärke der demokratischen Länder liegt in der Zusammenarbeit.

Patrick Zoll, Taipeh, und Matthias Sander, Shenzhen 4 min
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Chinesische Techniker arbeiten an einem Industrieroboter. Auch in der Forschung der modernen Robotik ist China laut australischen Experten führend.

Chinesische Techniker arbeiten an einem Industrieroboter. Auch in der Forschung der modernen Robotik ist China laut australischen Experten führend.

Qilai Shen / Bloomberg

In einer Welt, die sich wirtschaftlich zunehmend in zwei Lager zu spalten scheint, wird immer wichtiger, wer welche Schlüsseltechnologien beherrscht. Schliesslich sind etwa Computerchips und künstliche Intelligenz die Grundlage für zahllose Anwendungen, von der Energiewende bis zum Militär. Besonders heftig kämpfen die USA und China um die Vorherrschaft – wer genau wo führend ist, lässt sich schwer sagen.

Die Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute (Aspi), die dem australischen Verteidigungsestablishment nahesteht, versucht dies nun genauer zu ermitteln. Ihr Fazit klingt alarmierend: «Westliche Demokratien verlieren den globalen technologischen Wettkampf, das Rennen um Durchbrüche in Wissenschaft und Forschung sowie die Fähigkeit, die besten Köpfe der Welt an sich zu binden.» Dies seien entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklung und die Kontrolle der wichtigsten Technologien der Welt, auch jener, die noch nicht existierten.

Das Aspi untersuchte 44 Technologien, von Hightech-Materialien und Radiokommunikation über elektrische Batterien und Quantencomputer bis zu modernen Flugzeugtriebwerken und Drohnen. In 37 dieser Bereiche ist China führend – in den restlichen die USA.

China führt in 37 von 44 kritischen Technologien

China führend
USA führend

Doch wie misst man Technologieführerschaft? Das Aspi zählt wissenschaftliche Publikationen in den verschiedenen Bereichen und gewichtet jene, die besonders viel zitiert werden, stärker. Es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen angemeldeten Patenten und am häufigsten zitierten Forschungsergebnissen, schreiben die Studienautoren. Daher könne man so die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes oder einer Institution messen.

Chinas Durchbruch bei Hyperschallwaffen hatte sich abgezeichnet

Dass sich ein Blick auf publizierte Forschungsergebnisse lohnt, zeigt sich am Beispiel von Hyperschallwaffen. Das sind lenkbare Flugkörper, die schneller als mit fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen. Sie gelten als kaum oder schwer abzufangen. 2021 zeigten sich amerikanische Militärs überrascht, als bekanntwurde, dass China eine Hyperschallwaffe getestet hatte, die mit einem Atomsprengkopf bestückt werden könnte.

Dabei habe es klare Anzeichen gegeben, dass China hier führend sei, schreiben die Aspi-Autoren: Fast die Hälfte aller qualitativ hochstehenden Forschungsberichte zu modernen Flugzeugmotoren – dazu zählen Hyperschallantriebe – stamme aus China, sieben der zehn weltweit führenden Forschungsinstitute in dem Bereich seien chinesisch.

An einer Parade zeigen die chinesischen Streitkräfte einen Hyperschallgleiter. Diese Waffen sollen amerikanische Raketenabwehrsysteme überwinden.

An einer Parade zeigen die chinesischen Streitkräfte einen Hyperschallgleiter. Diese Waffen sollen amerikanische Raketenabwehrsysteme überwinden.

Mark Schiefelbein / AP

Bei der jüngsten Affäre um den chinesischen Spionageballon über den USA verhielt es sich ähnlich: Chinesische Universitäten, die für Rüstungsforschung bekannt sind, erforschen seit Jahren so intensiv wie wohl niemand sonst Ballone und ähnliche Flugobjekte, auch für militärische Einsätze. Das Aspi will nun mit seinem neuen Index namens Critical Technology Tracker die Grundlage schaffen, dass es nicht zu weiteren solchen Überraschungen kommt.

Die USA führen noch bei Quantencomputern

Bei Quantentechnologien etwa liegt China in drei von vier Kategorien teilweise deutlich vor den USA. Quantentechnologien machen sich den Umstand zunutze, dass ein Quantenteilchen im Gegensatz zu herkömmlichen Teilchen mehrere Zustände gleichzeitig annehmen kann. Dadurch lassen sich bestimmte Berechnungen viel schneller durchführen. So könnte es zum Beispiel eines Tages möglich sein, die heute übliche Verschlüsselungstechnik RSA einfach zu knacken.

Im Bereich der Post-Quanten-Kryptografie – also der Verschlüsselungstechnik, die eines Tages auch Quantencomputern standhalten soll – führt China mit 31 Prozent der Studien und Patente vor den USA mit nur gut 13 Prozent. Ähnlich ist es bei der Quantenkommunikation, die über solche Verschlüsselung gesichert wird. Bei der Entwicklung von Quantencomputern hingegen sieht das Aspi etwas überraschend die USA klar vor China.

Die derzeit wohl am meisten öffentlich diskutierte Technologie ist künstliche Intelligenz (KI), schliesslich wurde die im November veröffentlichte menschenähnliche Chat-Software Chat-GPT bereits mehr als 100 Millionen Mal weltweit heruntergeladen. Das Aspi sieht auch hier China in mehreren Kategorien vorn oder fast gleichauf mit den USA, etwa bei der Entwicklung von KI-Algorithmen sowie dem Design von leistungsstarken Computerchips.

Allerdings zeigt der Fokus auf Forschungsstudien und Patente gerade in diesem Bereich eine Schwachstelle der Studie: Die beste Forschung bringt nichts, wenn man die entsprechenden Produkte nicht selbst herstellen kann. Im Falle Chinas zeigt sich das beispielsweise bei Chips mit KI-Fähigkeiten. Denn die USA haben im Oktober umfassende Exportverbote und andere Restriktionen gegen Chinas Chip-Industrie erlassen.

Monopole gäben China Druckmöglichkeiten

In 8 der 44 Bereiche sehen die Aspi-Autoren die Gefahr, dass Peking ein Monopol erreichen könnte. Dies ist der Fall, wenn der Output der chinesischen Forschung jenen des nächsten Landes um mehr als das Dreifache übertrifft und sich 8 der 10 führenden Forschungsinstitute in dem Bereich in China befinden. Dies ist bedenklich, weil das autoritäre Regime in Peking längerfristig die Möglichkeit erhalten könnte, andere Länder zu erpressen.

Dass es davor nicht zurückschreckt, hat es schon verschiedentlich gezeigt. So blockierte China 2010 den Export von seltenen Erden an die japanische Elektronikindustrie, nachdem Japan einen chinesischen Kapitän festgenommen hatte, der ein Schiff der japanischen Küstenwache gerammt hatte. Peking verbot auch den Import zahlreicher australischer Produkte, nachdem Canberra eine Untersuchung zum Ausbruch der Coronavirus-Pandemie gefordert hatte.

Die chinesische Position im wissenschaftlichen Bereich kann insofern nicht überraschen, als die kommunistische Regierung diese Führung schon lange zum Ziel erklärt hatte. Die Studienautoren empfehlen denn auch westlichen Ländern, Strategien zur Förderung der Forschung auszuarbeiten und entsprechende Finanzierung bereitzustellen.

Die Gefahr, dass globale Schlüsseltechnologien von einem autoritären Staat dominiert werden könnten, wird dadurch relativiert, dass hinter China und den USA die Demokratien Indien, Grossbritannien, Deutschland, Südkorea, Italien, Australien und Japan in fast allen Bereichen die Top-5-Positionen unter sich ausmachen. Von den autoritären Ländern schafft es einzig Iran mehrmals in diese Liga. Forschungskooperationen zwischen demokratischen Nationen haben somit eine sicherheitspolitische Relevanz.

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