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Eberhard Sandschneider „Wir werden der globalen Rolle Chinas nicht entgehen“

Wirtschaftsminister Habeck in Singapur: Sein Haus strebt ein Decoupling von China an
Wirtschaftsminister Habeck in Singapur: Sein Haus strebt ein Decoupling von China an
© picture alliance/dpa | Britta Pedersen
Bis 2027 werde China Taiwan annektieren – davon geht das Wirtschaftsministerium offenbar aus. China-Experte Eberhard Sandschneider hält die Prognose für verantwortungslos und kritisiert die anvisierte Decoupling-Politik

Professor Eberhard Sandschneider ist Partner bei Berlin Global Advisors, nachdem er von 2003 bis 2016 die DGAP leitete, einen der führenden außenpolitischen Thinktank in Europa. Von 1998 bis 2020 hatte er einen Lehrstuhl in Chinesischer Politik und Internationalen Beziehungen an der Freien Universität Berlin inne. Zwischen 1995 und 1998 lehrte er als Professor für Internationale Beziehungen an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz.

Das Wirtschaftsministerium geht in seinem Beitrag zur künftigen China-Strategie der Bundesregierung davon aus, dass Taiwan bis 2027 von der Volksrepublik annektiert wird. Wie berechtigt ist diese Annahme, und worauf stützt sie sich?
EBERHARD SANDSCHNEIDER: Diese Annahme beruht auf der Tatsache, dass auf den 1. August 1927 der hundertste offizielle Gründungstag der Volksbefreiungsarmee fällt – auf mehr nicht. Andere Kriterien, die analytisch dafür oder dagegen sprechen, werden vernachlässigt. Es ist einfach eine fast verantwortungslose Annahme, die China ja geradezu einlädt, aktiv zu werden.

Fast verantwortungslos?
Es ist bar jeder empirischer Evidenz, einfach ein Datum anzunehmen. Mir wäre auch neu, dass jemand aus dem Bundeswirtschaftsministerium in dieser Weise in interne chinesische strategische Überlegungen eingebunden ist. Es gibt mächtige Gründe, die dagegensprechen, dass China in absehbarer Zeit dieses militärische Abenteuer auf sich nehmen kann. Das hat mit vielen Gründen zu tun: mit den militärischen Kapazitäten, mit dem wirtschaftspolitischen Fallout, der auch die Volksrepublik treffen würde, und auch mit der Tatsache, dass die USA eine Taiwan-Relations-Act haben. Ein solcher Schritt würde, wenn man es genau formuliert, zum Dritten Weltkrieg führen – zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden pazifischen Weltmächten China und USA. Wenn man das alles ins Kalkül zieht, dann fällt es schwer, ein solch formalistisches Datum als gegeben anzunehmen. Und es fällt noch schwerer, darauf aufzubauen, dass Deutschland eine Decoupling-Politik von China betreiben soll, die der Trump‘schen Politik letztendlich gleichkommen würde. Vor allen Dingen versucht das Wirtschaftsministerium mit diesen Annahmen, sich entgegen der Interessenslage großer Teile der deutschen Wirtschaft vor einer schlichten Aussage zu drücken: Wer diese Politik in die Tat umsetzt, vernichtet massiv Wohlstand in Deutschland.

Nun hat Wirtschaftsminister Robert Habeck schon zuvor gewarnt, wenn China Taiwan überfällt, „dann zerreißt es die Region“. Auf welcher Seite der Region sollte man dann stehen?
Damit hat er recht. Es zerreißt friedliche Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten, und es zerreißt die Weltwirtschaft. So viel ist klar. Wenn ein solcher Schritt erfolgen würde, dann wären die westlichen Reaktionen mit Sicherheit denen gegenüber Russland vergleichbar – nur mit ganz anderen Größenordnungen. Von Russland können wir uns unter Mühen und mit Schmerzen verabschieden. Wenn wir das gleiche mit China tun, bricht die Weltwirtschaft zusammen. Aber es muss aus westlicher Sicht doch darum gehen, für China so hohe Hürden zu bauen, dass man dort gar nicht auf die Idee kommt, dieses Risiko einzugehen. Das heißt auch, dass man von außen vorsichtig sein sollte mit irgendwelchen irritierenden Bemerkungen.

Sind solche Schreckensszenarien denn hilfreich, die Abhängigkeiten deutscher Unternehmen von China herunterzufahren?
In der Logik ist es nicht falsch, wenn Sie wirtschaftliche Abhängigkeiten zurückfahren wollen. Denn sie bergen Risiken. Aber Abhängigkeiten dieser Art sind in den letzten Jahrzehnten die Grundlage unseres Wohlstandes gewesen. Wer sie eins zu eins abschaffen will, setzt diesen Wohlstand aufs Spiel. Abhängigkeiten zu diversifizieren und Alternativen zu suchen, ist keine verkehrte Strategie, aber es ist alles andere als einfach und braucht Zeit. Und beides ist bei allen deutschen Unternehmen längst auf der Chefebene angekommen. Wer sich Gedanken um die strategische Zukunft seines Unternehmens macht, kommt an Fragen der Sicherung von Lieferketten und ähnlichen Dingen nicht vorbei. Dazu braucht es keine Abmahnung durch das Wirtschaftsministerium. Wobei man gar nicht weiß, wer nun in der Führung ist: das Auswärtige Amt, oder jetzt das Wirtschaftsministerium? Es scheint zudem Kräfte zu geben, die nicht ganz einverstanden sind und Entwürfe an die Presse leaken.

Sie vertrauen also deutschen Unternehmen, dass sie sich ausreichend vorbereiten, um nicht in einer China-Falle zu landen?
Definitiv. Ich spreche mit vielen Unternehmen, die sich strategisch fragen, wo man hingeht, wenn man aus einer Autokratie heraus soll? Die Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft hat ziemlich klar gemacht, man geht nach Vietnam. Aber das ist auch ein kommunistisches System, und Myanmar ist eine Militärdiktatur, und in anderen Teilen Südostasiens sieht es nicht besser aus. In die Region zu diversifizieren, klingt einfach und schön. Aber die Märkte sind deutlich anders strukturiert, und sie eröffnen längst nicht das Umsatzvolumen, das der chinesische Markt nach wie vor bietet. Es ist also alles viel komplizierter, als es solche Schlagworte glauben machen.

Trifft es denn zu, dass die Abhängigkeit unserer Wirtschaft von China noch zunimmt – statt zurückzugehen?
Der chinesische Markt wird vermutlich weiter wachsen, und eine Regel, die man gerade aus Asien immer wieder hört, besagt: Geh dorthin, wo die großen umsatzstarken Märkte sind. Wir sind als exportorientierte Nation nun einmal abhängig, und wenn wir nur mit unseren demokratischen Freunden Geschäfte machen wollen, verlieren wir große Teile des Wohlstandes. Es geht darum, diese Abhängigkeiten ein Stück weit zu managen, um mögliche Einseitigkeiten zu beseitigen. Aber letztendlich bleibt ein Restrisiko bei internationalen Aktivitäten; Unternehmen begeben sich in Situationen mit instabilen politischen Rahmenbedingungen, die gilt es individuell zu managen. Und dafür gibt es keine große, alleinseligmachende Strategie für alle Fälle, für alle Zeiten, oder für alle Unternehmen und Branchen.

Was wäre denn der sinnvollste Beitrag der Politik – zum einen für eine Entflechtung von China und zum anderen, um Risiken abzufedern. Berichtspflichten, wie Sie jetzt genannt werden, reichen ja wohl nicht?
Berichtspflichten sind ein lächerliches Instrument, das nur der Bürokratisierung Vorschub leistet. Das Management von Unternehmen ist nach meinem Verständnis einer funktionierenden Marktwirtschaft zunächst den Eigentümern verpflichtet, ob Aktionäre, Gesellschafter, oder Familien. Und wenn Eigentümer unzufrieden werden, hat das Management ein Problem. Dafür braucht es keine Berichtspflicht an ein Ministerium, das die konkrete Situation sowieso nicht so abschätzen kann, wie ein Unternehmer aus Binnensicht. Das ist Augenwischerei und wird das Risiko dieser Unternehmen keinesfalls minimieren.

Und was wäre ein sinnvoller Beitrag?
Ein Ministerium kann Rahmenbedingungen setzen. Aber die Verantwortung liegt auf der Unternehmensebene von strategischem Management. Rahmenbedingungen, die man in Berlin vorgeben kann, mögen gut klingen, aber müssen nicht unbedingt mit der Realität vor Ort übereinstimmen.

Wenn Außenwirtschaftsförderung Anreize zum Decoupling setzt, ist das also keine gute Flankierung?
Wer das tut, muss auch dazu sagen, dass er bereit ist, Wohlstands- und Arbeitsplatzverluste dafür in Kauf zu nehmen. Man kann durch solche Regeln, wenn sie Sanktions-bewehrt – also mit Strafen verbunden – sind, natürlich das Verhalten von Unternehmen steuern. Ob das in die richtige Richtung geht, ist eine andere Frage.

Wenn nun Export- oder Investitionsgarantien für neue Wirtschaftsprojekte in China gedeckelt würden, wäre das auch eine Art Strafe?
Es wird zumindest dazu führen, dass Unternehmen sich das doppelt und dreifach überlegen. Es ist ein Hebel, den man ansetzen kann, wenn man das möchte. Aber ich erinnere mich noch an Zeiten, da waren wir unglaublich stolz, dass deutsche Unternehmen mit solchen Investitionen auf Drittmärkten unterwegs waren, um den Exportweltmeister Deutschland im Geschäft zu halten. Wenn man das plötzlich nicht mehr will, muss man das in dieser Deutlichkeit allerdings auch dazusagen.

Welche Vorhaben könnten von einer Neuausrichtung der Außenwirtschaftsförderung betroffen sein?
Minister Habeck hat das mit Volkswagen in Xinjiang ja schon getan, als Anträge auf Verlängerung von Investitionsgarantien abgelehnt wurden.

Er sagte, angesichts von Zwangsarbeit und Misshandlung der Uiguren könnten keine Projekte in der Region Xinjiang mehr abgesichert werden …
Das heißt, die Risikolast landet dann bei den einzelnen Unternehmen und die werden abschätzen müssen, ob sie in der Lage sind, diese Risikolast jeweils für sich zu tragen, oder nicht. Es gibt keinen Zwang, aber Unternehmen sichern natürlich Ihre Risiken gerne ab. Und wenn Sie das plötzlich in eigener Verantwortung tun müssen, dann kommt es gegebenenfalls auch zu anderen Entscheidungen. Das ist die Idee des Ganzen.

Sehen Sie denn Anzeichen, dass in China engagierte Unternehmen sich auf sogenannte alternative Zukunftsmärkte umorientieren? Also Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika?
Verantwortungsbewusste Unternehmen tun das sowieso. Im Augenblick sehe ich, dass die großen deutschen Unternehmen mit ihrer China-Strategie eigentlich unbeirrt fortfahren, weil sie wissen, dass der chinesische Markt jenseits von größeren Katastrophen auch in Zukunft einer der wichtigsten der Welt sein wird. Was ein Unternehmen in China an Umsatz erzielt, kann es in Singapur, Malaysia, Myanmar oder einem anderen Land nicht erreichen, einfach bedingt durch die Größe des Marktes. Das wird sich nicht großartig ändern.

Zum Zweiten ist es ist einfach gesagt, sich umzuorientieren und die richtigen Partner vor Ort zu finden, die Lieferketten mit ähnlicher Qualität und zu ähnlichen Preisen bedienen können. Die operative Verantwortung liegt bei den einzelnen Unternehmen. Einige denken intensiv über Vietnam nach. Das Land kann aber höchstens ein Ausweichpunkt und kein Ersatz für den chinesischen Markt sein. Das ist ein politischer Markt, er ist hoch riskant, aber er bleibt der größte, da gibt es kein Vertun. Wenn ein Unternehmen in den letzten 30 Jahren dort erfolgreich war, dann war dies offensichtlich gute Unternehmensführung. Kompliment. Aber es gibt keine Garantie, dass das so weitergeht.

Nun ist China ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen, Komponenten, selbst Maschinen. Ist es in dieser Hinsicht ersetzbarer?
Wir werden der globalen Rolle Chinas dadurch nicht entgehen. Und wenn wir sie nicht mehr als Kunden haben, dann wird man sie als Wettbewerber haben. Das ist Wirtschaftspolitik im 21. Jahrhundert. Es sind immer wieder Unternehmen zu finden, die ähnliche Produkte anderswo vorhalten können. Aber auch diese Zulieferer haben ein System von Zulieferern, das nicht in jedem Markt zu finden ist. Zudem sind die chinesischen Ambitionen unverkennbar, mit eigener Technologie verstärkt auf dem Weltmarkt voranzukommen. Das merken wir in Deutschland ebenso wie in vielen anderen Märkten von Lateinamerika über Afrika bis nach Zentralasien.

Auch in einem Leak aus dem Auswärtigen Amt zur künftigen China-Strategie ist die Rede davon, wirtschaftliche Abhängigkeiten zügig und mit für die deutsche Volkswirtschaft vertretbaren Kosten zu verringern. Geht das überhaupt?
Diese Papiere sind auf innenpolitischen Applaus ausgerichtet, aber sie haben keinen substanziellen Wert. Diese Formulierung aus dem Papier des Außenministeriums könnte wahrscheinlich jeder unterschreiben. Das Papier enthält eigentlich alles, was richtig ist. Aber was bedeutet das im konkreten Fall? Es ist der Versuch einer großen Strategie, die spätestens dann anfängt zu scheitern, wenn man beginnt, sie umsetzen zu wollen.

Wann ist mit einer Einigung der Bundesregierung auf die China-Strategie zu rechnen?
Es wird erwartet, dass sie im Frühjahr fertig sein – und im Nachgang zu einer generellen sicherheitspolitischen Strategie, über die noch nichts durchgesickert ist, umgesetzt werden soll. Also warten wir ab. Ich bin da ausgesprochen entspannt, weil ich in den letzten 40 Jahren so viele Strategiepapiere gesehen habe, die alle gekommen und gegangen sind, ohne dass sich deswegen die Politik oder die Welt verändert hätte. Und ich nehme an, dass diese beiden Strategien dasselbe Schicksal erleiden werden. Das ist großes Getöse für den innenpolitischen Applaus, aber wenig hilfreich für die Praxis der Außenwirtschaftspolitik.

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