China Science Investigation

Taiwan-Krise: Deutsche Forschungskooperationen mit China werden zur Frage der Nationalen Sicherheit

Die chinesischen Militärübungen vor der Küste Taiwans haben auch Konsequenzen für deutsche Forschungskooperationen mit China. CORRECTIV hatte im Mai offengelegt, dass China Wissen aus deutschen Hochschulen für das Militär abzapft. Die Bundesregierung verschärft nun ihren Kurs.

von Till Eckert , Sophia Stahl

Foto: Lin Jian / picture alliance / Xinhua News Agency

Die Taiwan-Krise spitzt sich zu. Nach dem Besuch der US-amerikanischen Politikerin Nancy Pelosi in Taipeh übte das chinesische Militär rund um die Inselgruppe offensichtlich für einen Angriff auf Taiwan. Die Machtdemonstration wirft nun Fragen zu deutsch-chinesischen Forschungskooperationen auf, deren Ergebnisse auch für militärische Zwecke verwendet werden könnten.

CORRECTIV hatte in der „China Science Investigation“ im Mai gemeinsam mit zehn weiteren internationalen Medien offengelegt, dass das chinesische Militär gezielt Wissen aus europäischen Hochschulen nutzt. Die sogenannte „militärisch-zivile Fusion“ ist eine offizielle politische Strategie in China: Technologie und Wissenschaft sollen auch für das Militär genutzt werden. 

Das Bundesforschungsministerium und das Auswärtige Amt sind nun durch die Ereignisse vor den Küsten Taiwans alarmiert. Das Forschungsministerium will Forschungskooperationen jetzt „kritischer als bislang überprüfen“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dagegen, eine zentrale Förderorganisation der Wissenschaft, sieht keinen Grund, die deutsch-chinesische Zusammenarbeit zum jetzigen Zeitpunkt zu überdenken. 

Forschungsministerium will „kritischer als bislang“ überprüfen, welche Kooperationen möglich sind

Das Bundesforschungsministerium (BMBF) war im Mai noch der Meinung, es genüge, Hochschulen zum Thema zu „sensibilisieren“. Der Tonfall hat sich nun jedoch stark verändert. „Die Bedingungen für die Zusammenarbeit mit China haben sich in den vergangenen Wochen nochmals eindeutig verschärft“, sagte ein Sprecher gegenüber CORRECTIV. 

„Wir sehen hier immer mehr eine zunehmende Verschiebung durch China in Richtung Wettbewerber und Rivale. Dies gilt gerade auch für die Forschungskooperation.“ China wolle mit aller Macht seine technologischen Lücken schließen. „Wir werden deshalb noch kritischer als bislang überprüfen, wo Zusammenarbeit mit China im Forschungsbereich noch sinnvoll und möglich ist.“

Während es im Klima- und Umweltschutz globale Partnerschaften brauche, würden gegenüber China schon jetzt Themen und Kooperationen abgesagt. „Vor allem in Schlüsseltechnologien, die wir für nicht vertretbar halten“, sagt der Sprecher. 

„Dazu gehören beispielsweise Kooperationsanfragen in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Quanten, aber auch Energietechnologien. Das heißt wir müssen überall da klare Grenzen ziehen, wo wir China helfen, einen Vorteil im Systemwettbewerb zu erringen beziehungsweise den chinesischen Militärbereich zu stärken.“

Das Ministerium prüfe und entscheide sehr genau, wo zusammengearbeitet werde. Unterstützung gebe es nur für solche Vorhaben, die einen klaren Mehrwert für Deutschland und Europa haben. Der Sprecher räumt ein: „Künftig werden wir aber noch genauer darauf achten müssen, ob unsere Kooperationen zu Lasten Dritter gehen könnten und wie wir Risiken wie Dual-Use noch stärker minimieren können.“ 

Von sogenannten „Dual-Use“-Fällen in der Forschung spricht man, wenn Forschungsergebnisse sowohl für militärische als auch zivile Zwecke genutzt werden können. CORRECTIV konnte gemeinsam mit seinen deutschen Partnermedien rund 350 wissenschaftliche Veröffentlichungen nachweisen, in denen Forschende an deutschen Hochschulen mit Kolleginnen und Kollegen aus chinesischen Militäreinrichtungen zusammengearbeitet haben. Die internen Verfahren von Hochschulen reichten offensichtlich nicht aus, um auszuschließen, dass die Forschung der Hochschulen in sicherheitsrelevante Technologie fließt. Mehrere Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren, die CORRECTIV unbeteiligten Forschenden vorlegte, könnten nach deren Einschätzung sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Darin ging es auch um Künstliche Intelligenz und Quantenforschung.

Der Sprecher des Forschungsministeriums sagte zudem, die Wissenschaftsfreiheit sei ein hohes Gut und gehe mit einer besonderen Eigenverantwortung von Wissenschaftsorganisationen und Forschenden einher: „Gerade Grundlagenforscher müssen sich bewusst sein, dass auch ihre Arbeit exportkontrollrechtliche Bezüge haben können und Dual-Use-Risiken bergen.“

„Diese Fragestellungen bringen wir als BMBF aktiv in die Gestaltung der China-Strategie der Bundesregierung ein. Unser Anliegen einer unabhängigen China-Kompetenz in allen Bereichen unserer Gesellschaft wird dabei mit im Fokus stehen“, sagt der Sprecher.

Auswärtiges Amt: Forschungskooperationen werden „intensiv beleuchtet”

Mit der Ausarbeitung der neuen „China-Strategie“ der Bundesregierung ist das Auswärtige Amt beauftragt. Darin soll es um den neuen Umgang mit China gehen, insbesondere bei Wirtschaftsbeziehungen.

Auf die Frage, ob im Hinblick auf Taiwan auch die Rechercheergebnisse der „China Science Investigation“ in die Strategie einfließen werden, heißt es: „Diese Themen werden im Rahmen der aktuellen strategischen Arbeiten der Bundesregierung intensiv beleuchtet.“ 

DFG finanzierte Projekt mit chinesischer Militäreinrichtung mit – Taiwan-Krise hat aber aktuell keine Auswirkung auf Förderstruktur

Während die Bundesregierung Forschungskooperationen mittlerweile kritisch überprüft, äußert sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zurückhaltend. 

Die DFG verteilt Fördergelder für Forschungsvorhaben und stand im Mai mit im Zentrum der Recherche: CORRECTIV konnte zeigen, dass in einem konkreten Fall die DFG als Unterstützerin in einer gemeinsamen Forschungsarbeit zwischen der Universität Bonn und der chinesischen National University of Defence Technology (NUDT) genannt wird. Die DFG hat, laut eigenen Angaben, die Präsentation dieser und anderer Arbeiten des deutschen Wissenschaftlers der Uni Bonn auf einer Konferenz in Montreal finanziell ermöglicht.

Auf der Konferenz wurde das Projekt des von der DFG geförderten deutschen Wissenschaftlers und zwei Forschern von der NUDT vorgestellt. Die NUDT ist eine militärische Spitzenuniversität.

In dem Projekt von 2019 ging es darum, wie sich autonome Roboter mittels 3D-Laser und Kameras selbst navigieren können. Damit bewegte sich die Kooperation im Bereich der Künstlichen Intelligenz, die nun vom Forschungsministerium als nicht mehr vertretbar gilt. Unbeteiligte Forschende, denen wir die Arbeit vorlegten, sagten übereinstimmend, dass das Papier sowohl militärische als auch zivile Anwendungen habe.

Angesprochen auf die Taiwan-Krise sieht die DFG derzeit aber keinen Grund, ihre Förderstruktur zu überdenken, die offensichtlich auch zur Mitfinanzierung einer Präsentation von deutschen und chinesischen NUDT-Forschern führte. Man verfolge die Situation und wolle „gegebenenfalls über mögliche Auswirkungen auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen beraten“. 

Bis dahin wird die DFG über die Verteilung von Steuergeldern in Milliardenhöhe für Forschungsvorhaben nach ihren bisherigen Regeln entscheiden.

Update, 7. Oktober 2022:

Wir haben einige Textpassagen mit aktuelleren Erkenntnissen zum Projekt der Uni Bonn mit der NUDT aktualisiert. Die DFG teilte uns zu diesem konkreten Fall nach Veröffentlichung mit, dass Fördergelder nicht in die konkrete Forschungsarbeit geflossen seien, sondern erst nach Abschluss dieser 2019 in eine Präsentation der Arbeit auf einer Konferenz in Montreal. Dies haben wir berücksichtigt und im Text korrigiert.