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"Das ist die Sprache Putins"

Die russischen Rektoren unterstützen Putins Angriffskrieg. Für
HRK-Präsident Peter-André Alt haben sie damit ihre intellektuelle Unabhängigkeit verloren. Ein Interview.

Peter-André Alt ist seit August 2018 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Vorher war der Literaturwissenschaftler acht Jahre lang Präsident der Freien Universität Berlin. Foto: HRK/David Ausserhofer.

Herr Alt, Ihre Kollegen von der Russischen Rektorenkonferenz haben in einer Erklärung demonstrativ Putins Angriffskrieg unterstützt. Den sie natürlich, der Kreml-Linie folgend, so nicht nennen. Die "Spezialoperation" in der Ukraine schütze Russland vor wachsenden militärischen Bedrohungen. Putins Entscheidung sei wahrscheinlich die schwierigste in seinem Leben gewesen, aber notwendig. Was haben Sie gedacht, als Sie das gelesen haben?

 

Mich hat die Sprache in dieser Stellungnahme erschreckt. Das ist eine Sprache der Verfälschung, der Manipulation, der Euphemismen. Damit haben die russischen Rektoren demonstriert, dass sie ihre intellektuelle Unabhängigkeit verloren haben.

 

Waren Sie, als Sie auf die Liste der Unterzeichner schauten, von dem einen oder anderen persönlich enttäuscht?

 

Ich kenne zwar einige der Kollegen persönlich, aber so weit waren meine Beziehungen mit ihnen nie gediehen, dass sich daraus besondere Enttäuschungen ableiten könnten. Wir wussten ja schon vorher, dass die Leitungen russischer Universitäten von der Regierung eingesetzt werden oder dass die Regierung zumindest an ihrer Auswahl beteiligt ist. Insofern spiegelt sich in der Stellungnahme auch die Abhängigkeit der Unterzeichner von den staatlichen Organen wider.

 

Haben auch Rektoren nicht unterschrieben, die eigentlich hätten unterschreiben müssen als Mitglieder der Rektorenkonferenz?

 

So genau haben wir die Liste der Unterzeichner nicht geprüft. Aber dafür sind uns auf anderen Erklärungen von Wissenschaftlern, die sich gegen Putin richten, sehr viele hochrangige Namen aufgefallen. Das hat uns gefreut. 

 

Sie sind Literaturwissenschaftler, Herr Alt. Sie haben die Sprache der Erklärung schon erwähnt: Als "wichtigste Pflicht" der Universitäten wird direkt nach der Bildung, eigentlich sogar als Teil von ihr genannt: "Patriotismus in jungen Menschen zu fördern, das Verlangen, dem Mutterland zu helfen". Mehr als je zuvor müsse man sich auch "um den Präsidenten versammeln". Reden so Wissenschaftler?

 

Nein, so klingen nicht Wissenschaftler, so klingt Propaganda. Das ist die Sprache Putins, die wir da hören. 

 

"Wenn wir irgendwann wieder Beziehungen zur russischen Rektorenkonferenz aufnehmen, dann werden wir sie mit dem gebotenen Realitätssinn weiterführen."

 

Was bedeutet der Brief für die Beziehungen der HRK zu Ihrem russischen Konterpart?

 

Neben der Desillusionierung vor allem die Erkenntnis: Wenn wir irgendwann wieder Beziehungen zur russischen Rektorenkonferenz aufnehmen, dann werden wir sie mit dem gebotenen Realitätssinn weiterführen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vor wenigen Jahren haben wir eine Konferenz mit den russischen Kollegen abgesagt, weil auf der Liste der teilnehmenden Institutionen auch die Universität der Krim aufgeführt wurde. Woraufhin die russische Seite heftig protestierte: Wir würden Politik und Wissenschaft vermischen. Jetzt zeigt sich: Das Argument war vorgeschoben. Die Rolle der Rektoren war immer politischer, als sie behauptet haben.

 

Gleichzeitig haben in mehreren Protestbriefen mehrere tausend Wissenschaftler gegen Putins Angriffskrieg protestiert. 

 

Die große Zahl derjenigen, die da als Vertreter der russischen Wissenschaft gegen den Krieg protestieren, ist beeindruckend. Besonders berührt mich die Stellungnahme der Alumni der Moskauer Lomonosov-Universität, die in ihrer Sprache das genaue Gegenteil der Rektoren-Erklärung ist: geprägt von Mitleidsfähigkeit und Humanismus und von demokratischem Denken. Imponierend ist der politische Mut der Unterzeichner. Den jetzt geltenden russischen Gesetzen folgend, die mehr oder weniger auf das Kriegsrecht hinauslaufen, drohen für solchen öffentlichen Protest Verhaftungen und Gefängnisstrafen. 

 

Was hören Sie über den Umgang der russischen Behörden mit den Unterzeichnern?

 

Viele deutsche Hochschulen und auch die HRK selbst gehören zu Netzwerken wie "Scholars at Risk". Über die versuchen wir, an Informationen zu kommen. Aber das ist zurzeit fast unmöglich – so wie keiner genau die Namen all derer kennt, die bei den vielen Demonstrationen festgenommen worden sind. 

 

Gibt es eine Möglichkeit, zwischen Wissenschaftlern und Institutionen zu differenzieren, wie DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee es formuliert hat: "den russischen Staat zu isolieren und unsere regierungskritischen russischen Partnerinnen und Partnerinnen den Rücken zu stärken"?

 

Das ist eine angemessene Strategie, die wir als HRK absolut unterstützen. Zum einen, um nach außen zu zeigen: Wir wollen mit unseren Sanktionen und dem Kontaktabbruch die russischen Wissenschaftsinstitutionen treffen, nicht die Personen. Zum anderen, weil wir es für richtig halten, zwar den organisierten wissenschaftlichen Austausch abzubrechen, zugleich aber die individuelle Kommunikation auf Ebene einzelner Wissenschaftler weiterzuführen. Was nicht einfach ist zurzeit: Weder Telefon noch E-Mail sind aktuell sichere Kommunikationswege, und die sozialen Medien entfallen aus bekannten Gründen.  

 

Politisieren die deutschen Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen nicht auch selbst die Wissenschaft, indem sie den politischen Sanktionen folgen und akademische Kontakte einfrieren?  

 

Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Wir reagieren mit unseren Sanktionen auf das, was geschehen ist. Richtig ist aber auch: Natürlich ist die Unterbrechung wissenschaftlicher Arbeitsbeziehungen keine Wissenschaft. Zudem ist uns bewusst, dass es sich um eine singuläre Maßnahme handelt – etwas, das wir zum Beispiel beim Kosovo-Krieg nicht in Erwägung gezogen haben. Aber auch der Bruch des Völkerrechts durch Putin ist außerordentlich. Darum hatten wir als HRK keine andere Wahl, als unsere Mitgliedshochschulen zum Einfrieren ihrer Wissenschaftsbeziehungen mit Russland aufzurufen. Den Umfang und die Entschlossenheit, mit der die Hochschulen unserem Aufruf gefolgt sind, sehen wir als Bestätigung. 



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