Aus der Ukraine nach Berlin: Studenten aus Drittstaaten droht Abschiebung

Berlin gewährt internationalen Studierenden eine weitere Aufenthaltsfrist. Doch eine dauerhafte Lösung ist immer noch nicht in Sicht.

Easy und Faith kamen vor neun Monaten aus der Ukraine nach Berlin. Trotz intensiver Suche haben sie noch immer keine Wohnung gefunden. 
Easy und Faith kamen vor neun Monaten aus der Ukraine nach Berlin. Trotz intensiver Suche haben sie noch immer keine Wohnung gefunden. Benjamin Pritzkuleit

Easy und Faith übernachten neun Monate nach ihrer Flucht aus der ukrainischen Universitätsstadt Charkiw immer noch auf Sofas von hilfsbereiten Berlinern. Die beiden queeren Medizinstudentinnen haben Glück, dass die Szene in Berlin sich solidarisch zeigt. Sie hätten in Berlin trotz monatelanger Suche keine eigene Wohnung gefunden, erzählt die 24-jährige Easy. 

Die beiden Frauen strandeten Anfang März am Berliner Hauptbahnhof vor einem Stand mit Regenbogenflagge. Helfer kümmerten sich dort um queere Geflüchtete und Drittstaatler ohne ukrainischen Pass. Easy und Faith glaubten bereits im Frühjahr nicht daran, ihr Medizinstudium in Deutschland fortsetzen zu können: Zu viele bürokratische Hürden, zu wenig Geld, keine deutschen Sprachkenntnisse; der Weg in einen Berliner Hörsaal schien ihnen unendlich lang. 

Eine Rückkehr nach Marokko kam für das Paar aufgrund seiner sexuellen Identität aber auch nicht infrage. An der Lage hat sich ein Dreivierteljahr später nichts geändert. Ihre Zukunft bleibt ungewiss. 

Laut Unesco waren vor dem russischen Angriff am 24. Februar 70.000 Studierende aus Drittstaaten an ukrainischen Hochschulen eingeschrieben. Der Zusammenschluss der deutschen Universitäten, die Hochschulrektorenkonferenz, schätzte im September, dass circa 10.000 Studierende aus Drittstaaten nach Deutschland geflohen sind.

Schutz gilt nur für Ukrainer

Die von der EU am 3. März zum ersten Mal in der Geschichte des Staatenbunds erlassene „Massenzustromrichtlinie“ gilt nur für ukrainische Staatsbürger. Sie erhalten temporären Schutz in der EU, ohne vorher das Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Die Regelung ist in Deutschland im Paragrafen 24 des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt. Ukrainer können in Deutschland studieren und eine Arbeit aufnehmen. Für Drittstaatler wie Faith und Easy gilt das nur, wenn eine sichere Rückkehr in das Herkunftsland nicht möglich ist. 

Deutschland gewährte den aus der Ukraine geflohenen Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 31. August. Die Frist wurde ihnen eingeräumt, um in Deutschland entweder ein Studium oder eine Arbeit aufzunehmen. 

Ausländische Studierende brauchen mehr als 10.000 Euro

An den Voraussetzungen für einen Hochschulzugang änderte sich für die Gruppe aber nichts. Ausländische Studierende müssen ein Stipendium oder 10.000 Euro auf einem Sperrkonto als Nachweis für den Lebensunterhalt vorweisen. Sie müssen auch Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B2 nachweisen. Es soll genügen, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. 

Die aus dem Krieg geflohenen Studierenden bemühten sich oft erfolglos zunächst um ein Dach über dem Kopf. Ihre Ersparnisse und die finanzielle Unterstützung der Eltern hatten viele bereits in das Studium in der Ukraine investiert.  

Berlin gewährt weitere Frist

Der Berliner Senat gewährte im August den Studierenden aus Drittstaaten einen weiteren vorläufigen Aufenthaltstitel. Sogenannte Fiktionsbescheinigungen sollen für sechs Monate gelten. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) wies zur Begründung auf das Potenzial hin, hoch qualifizierte Fachkräfte nach einem Studium auf Dauer für Berlin zu gewinnen. 

Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) räumte in einer Erklärung ein, dass die Fiktionsbescheinigungen die vielen Hürden für Drittstaatler zum Studium nicht aus dem Weg geräumt hätten. „Das ist ein erster wichtiger Schritt, wir brauchen aber weitere, um ihnen wirklich verlässliche Perspektiven zu geben“, sagte Gote in einer Stellungnahme.

Auch Bremen und Hamburg erlassen Sonderregelung

Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, begrüßt die Berliner Entscheidung. Tatsächlich haben außer Berlin nur die Bundesländer Hamburg und Bremen entsprechende Sonderregelungen für internationale Studierende aus der Ukraine erlassen. Das Risiko von Abschiebungen sei in anderen Bundesländern dagegen gegeben, meint Alaows. 

Wir leben in einem Rechtsstaat, der vom Prinzip der Gleichbehandlung ausgeht.

Tareq Alaows, Pro Asyl

Es handele sich bei den Drittstaatlern um Menschen, die vor dem gleichen Krieg geflohen seien wie die gebürtigen Ukrainer. Ihnen werde aber nun der entsprechende Schutz verwehrt. „Wir leben in einem Rechtsstaat, der vom Prinzip der Gleichbehandlung ausgeht“, mahnt Alaows. Pro Asyl fordert deshalb eine bundesweite Regelung, die sich zumindest an den Beschlüssen Berlins, Hamburgs und Bremens orientieren sollte.

Kerstin Greif vom Studierendenwerk Berlin berichtet, dass einige Drittstaatler nun Asylanträge stellten. Sie habe wiederholt Anfragen von Drittstaatlern erhalten, die beim Landesamt für Einwanderung (Lea) geltend gemacht hätten, nicht sicher in ihr Heimatland zurückkehren zu können, erklärt Greif. Auch Tareq Alaows geht davon aus, dass nun einige Betroffene den Weg durch das Asylverfahren wählen könnten, weil sie als Kriegsflüchtlinge nicht anerkannt werden. 

Ein Sprecher der Hochschulrektorenkonferenz hält es für unwahrscheinlich, dass Drittstaatler wie ukrainische Staatsbürger zeitnah ihr Studium in Deutschland fortsetzen könnten. Dafür müsste für die Gruppe eigene Sonderkontingente an Plätzen geschaffen werden.

Innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz gebe es Überlegungen, den Studierenden zu raten, ihr Studium an einer Hochschule in einer als sicherer geltenden Regionen der Ukraine fortzusetzen. „Sie haben für ihr Studium in der Ukraine ja auch schon bezahlt“, meint er. Welche Region angesichts von Raketen- und Drohnenangriffen und einem drohenden Zusammenbruch der Strom-und Wärmeversorgung im ganzen Land sicherer sei, verrät der Sprecher nicht.