· 

Warum Gebühren für internationale Studierende nicht automatisch eine schlechte Idee sein müssen

Der Verfassungsgerichtshof von Baden-Württemberg das Bezahlstudium für Nicht-EU-Bürger als verfassungskonform eingestuft. Das sollten wir als Gelegenheit für eine neue Debatte nutzen.

SEIT FÜNF JAHREN müssen Studierende aus Nicht-EU-Staaten in Baden-Württemberg Studiengebühren zahlen, 1.500 Euro pro Semester, und ebenso lange tobt der Streit um diese bundesweit einzigartige Bestimmung.

 

Jetzt hat der Verfassungsgerichtshof des Landes über die Verfassungsbeschwerde eines Studenten aus Vietnam entschieden: Nein, sagten die Richter, die Erhebung der Gebühren verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz und auch nicht gegen Artikel 11 der baden-württembergischen Verfassung ("Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung"). Das Gebot der Bildungschancengleichheit gelte nicht gegenüber internationalen Studierenden, denn die kämen freiwillig und seien nicht auf ein Studium in Deutschland angewiesen.

 

An dem Urteil sei "nichts gut", kommentierte das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), in dem unter anderem ein Großteil der Studierendenvertretungen organisiert ist. "Die sind nicht von hier als Verfassungsprinzip", schrieb ein Rechtsanwalt auf Twitter.

 

Lässt man einmal die – in der Tat – eigenartig daherkommende Begründung der Verfassungsrichter beiseite, eröffnet sich jetzt, da Rechtssicherheit hergestellt ist, eine Gelegenheit. Die Gelegenheit für die Hochschulpolitik, das Thema Studiengebühren für internationale Studierende noch einmal neu zu betrachten. Vor allem unter zwei Fragestellungen. Erstens: Wie wollen sich die deutschen Hochschulen mittelfristig positionieren im internationalen Wettbewerb um Studierende? Und zweitens: Wer hat wirklich etwas von den Gebühren?

 

Gehen die Gebühren mit einer hohen Betreuungsqualität
einher, kommen die internationale Studierenden trotzdem

 

Zu erstens: Deutschlands Hochschulen waren zuletzt sehr erfolgreich darin, junge Menschen aus aller Welt anzuziehen. Die Corona-Delle ist überwunden, fast 350.000 internationale Studierende sind ein neues Allzeit-Hoch. Ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil besteht in der Kostenfreiheit des Studiums in 15 von 16 Bundesländern. Aber womöglich wird dieser Vorteil auch überschätzt? So brachen die internationalen Studienanfänger-Zahlen in Baden-Württemberg in den ersten drei Jahren nach Gebühren-Einführung zwar um zwölf Prozent ein, während sie im Rest Deutschlands um 13 Prozent stiegen. Das ist zwar ein gewichtiger Unterschied. Und trotzdem ließen sich viele internationale Studierende in Tübingen oder Stuttgart nicht von den Gebühren abschrecken. Und der Blick nach Großbritannien, wo das Studium dramatisch viel mehr kostet, zeigt: Gehen die Gebühren mit dem Image einer hohen Betreuungsqualität und kosmopolitischen Atmosphäre einher, kommen die internationalen Studierenden trotzdem.

 

Zu zweitens: Natürlich muss man unterscheiden. Es gibt in fast allen Ländern dieser Welt extrem reiche Menschen, und umgekehrt gibt es sehr viel mehr Familien, die die Bildung ihrer Kinder nicht aus eigener Tasche bestreiten können. Warum aber dann nicht diejenigen, die das Geld haben, zahlen lassen und damit Stipendien für jene finanzieren, die es nicht können? Davon hätten am Ende alle etwas, vor allem auch die Hochschulen selbst. Denn mit den zusätzlichen Geldern könnten sie endlich etwas gegen die horrend hohen Abbrecherquoten internationaler Studierender in Deutschland tun. Durch genau die zusätzlichen Services und die Unterstützungsangebote, die viele Experten an den Hochschulen seit langem fordern.

 

Solange das Risiko eines Studienanfängers aus dem Ausland mehr als doppelt so hoch ist, sein Studium nicht zu beenden, desto stärker droht, je mehr Studierende kommen, das Image eines Billigheimer-Standorts. Nach dem Motto: Das Studium kostet bei uns zwar wenig bis nichts, aber dafür lassen wir die jungen Leute mit ihren Problemen allein. Was die am Ende womöglich am teuersten kommt.

 

Baden-Württemberg ist übrigens in der Hinsicht auch kein gutes Beispiel. Die Studiengebühren wurden dort eingeführt, um Haushaltslöcher zu stopfen. Nur 20 Prozent der Gelder durften an den Hochschulen bleiben, womit sie Ausnahmen von den Gebühren und eine bessere Betreuung finanzieren sollten. Das reichte natürlich nicht. Aber man könnte, man sollte es besser machen. 

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst im Newsletter ZEIT Wissen Drei.


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    hahadi (Mittwoch, 23 November 2022 15:04)

    @Landesverfassung BW (Zitat): "Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung". Wenn dieses Recht unterschiedslos allen jungen Menschen dieser Welt zustünde, spräche nichts dagegen, alle jungen Menschen dieser Welt nach BW (und nach ganz Deutschland) zu einem fast oder ganz kostenlosen Studium einzuladen. Allerdings kommt niemand qua eigener Entscheidung, also nur unfreiwillig in seinem Geburtsland zur Welt, das gilt auch für BW (und Deutschland). Die Begründung des Verfassungsgerichtshofes, dass Studierwillige aus Nicht-EU-Ländern, die freiwillig ins Ländle gekommen sind, dort nicht (fast) kostenlos studieren können sollten, ist deshalb nicht "eigenartig", sondern verfassungsrechtlich logisch.

  • #2

    "Das Studium kostet bei uns zwar wenig bis nichts" ist falsch. (Donnerstag, 24 November 2022 12:45)

    "Das Studium kostet bei uns zwar wenig bis nichts" - natürlich kostet das Studium bei uns auch etwas, nur dass das nicht der/die einzelne Studierende, das Elternhaus oder Vollstipendien finanzieren, sondern die deutschen Steuerzahler*innen. Ich finde, dies sollte im Kontext dieser Debatte immer mal wieder ins Bewusstsein gerückt werden. Das heißt nicht, dass es nicht von Interesse für deutsche Universitäten sein kann/ist, internationale Studierende auch aus sozial schwächeren Ländern/Familien zu attrahieren; im Gegenteil, Diversität ist befruchtend. Aber bei der generellen Debatte, zu welcher hier zurecht aufgerufen wird, sollte allen Beteiligten klar sein, dass Bildung sehr viel Geld kostet.

  • #3

    BW (Donnerstag, 24 November 2022 14:20)

    Warum Gebühren für internationale Studierende in nur einem Bundesland von 16 ganz automatisch eine schlechte Idee sind:

    https://www.wissenschaft-weltoffen.de/content/uploads/2022/10/wiwe_2022_web_de.pdf

    S. 35 Abb. B1.4

  • #4

    bregalnica (Freitag, 25 November 2022 08:22)

    Die Idee ist doch sehr charmant, mit den Studiengebühren Stipendien und bessere Betreuung zu finanzieren. Mit dieser Argumentation kann ich mich sogar überzeugen lassen, Studiengebühren gerechtfertigt zu sehen. Das ist aber bisher nirgends Rechtslage und offenbar nicht gewollt.
    Ich sehe immer wieder internationale Studierende die mit sehr wenig Geld klarkommen (müssen) und sich mit Nebenjobs über Wasser halten, stellenweise komplett finanzieren (müssen). Das sind Talente, die wir in Deutschland eher fördern sollten, als sie ihren prekären Bedingungen zu überlassen.

  • #5

    LeanderK (Montag, 28 November 2022 23:56)

    Ich frage mich schon lange wieso es keine landes-/bundesweite Strategie zu ausländischen, nicht-EU Studenten gibt. Man darf nicht vergessen dass ein Studium der Gesellschaft sehr viel kostet, ein enormer gesellschaftlicher Kraftakt ist und auch schlicht stark begrenzt ist. Gerade in international sehr kompetitiven Bereichen, von jede Uni zumindest einen hat, und mit englisch-sprachigen Master-Programm, sind die Plätze stark begrenzt und haben oft eine hohe bis sehr hohe Quote ausländischer Studenten. Wie binden wir diese top ausgebildeten jungen Leute in Deutschland? Und falls sie doch das Land sofort verlassen, sollten sie nicht etwas zurück geben?


    Bei Programmen, welche nach der Ausbildung ein gutes Gehalt versprechen, denke ich mir doch dass es aktuell unfair ist. Ich bin deshalb eindeutig für Studiengebühren, diese sollten am besten zu einem definierten Teil in Stipendien einfließen. Der deutsche Staat sollte aber einen passenden Kredit zu guten Konditionen anbieten, sodass die Gebühren einem nicht im Wege stehen.


    Ich denke dass wir auf jeden Fall ausländische Studenten hier anziehen sollten. Sie bereichern Deutschland. Viele von ihnen blieben danach etwas und arbeiten in Deutschland, dann geben sie auch ihren Teil zurück um einer neuen Generation das Studium zu ermöglichen. Es sollte es den Studenten leicht gemacht werden hier Fuß zu fassen, der Weg zur Arbeitserlaubnis sollte kurz sein. Wir sollten sie willkommen heißen, aber man darf auch nicht vergessen welch enorme gesellschaftliche Anstrengung ein Studium ist.


    Ich denke sogar dass eigentlich diese Studiengebühren nur dann zu zahlen sind wenn man nach dem Studium nicht direkt in Deutschland bleibt. Jemand der hier studiert und arbeitet sollte nicht anders behandelt werden. Ich weiß aber nicht wie genau dies ausschauen sollte.