Katrin Kinzelbach ist Professorin für Politik an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Wissenschaftsfreiheit nicht nur im eigenen Land zu achten, sondern sie in Europa und weltweit zu fördern. Das ist nötig, wie die neuen Daten des frisch veröffentlichten Academic Freedom Index zeigen: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in 22 Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit rückläufig ist.

In nur fünf Ländern beobachten wir eine positive Entwicklung – dort lebt weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung. In 152 Ländern gab es keine nennenswerte Veränderung, auch nicht in Deutschland, wo die Freiheit von Forschung und Lehre sehr gut geschützt ist. Doch in vielen dieser Länder stagniert die Wissenschaftsfreiheit auf einem enttäuschend niedrigen Niveau.

Der jährlich aktualisierte Academic Freedom Index wird an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem V-Dem Institute der Universität Göteborg koordiniert. Mehr als zweitausend Forschende sind weltweit daran beteiligt. Wir arbeiten auf der Basis internationaler Standards, stützen uns auf lokale Expertise und machen alle Daten öffentlich zugänglich. Gemeinsam stellen wir fest: Jede Weltregion und Länder aller Regierungsformen sind vom Rückgang der Wissenschaftsfreiheit betroffen. Die Gründe für diese Entwicklung sind also vielfältig, sie reichen von der Autokratisierung bis zur Wissenschaftsfeindlichkeit.

Was ist zu tun? Bisherige Bemühungen der Bundesregierung konzentrieren sich auf die Wissenschaftskommunikation, den Austausch und auf den Schutz bedrohter Forscherinnen und Forscher. Solche Schutzprogramme sind wichtig, denn sie können ausgewählten Forschenden vorübergehend eine Wirkungsstätte bieten; den Rückgang der Wissenschaftsfreiheit werden sie allerdings nicht umkehren.

Dazu sind andere Mittel nötig. So sollten menschenrechtliche Prüfverfahren der Vereinten Nationen für Kritik und Empfehlungen genutzt werden. Im Europäischen Forschungsraum könnte ein niedriger Wert auf dem Academic Freedom Index zu einer Untersuchung durch das Europaparlament führen. Ebenso denkbar wäre, die Vergabe von EU-Forschungsmitteln an institutionelle Autonomie zu knüpfen.

Gleichzeitig verdienen Länder, die wie Gambia, Kasachstan und Montenegro mit Verbesserungen hervorstechen, mehr Unterstützung beim Ausbau ihres Wissenschaftssystems. Umgekehrt sollten demokratische Universitäten institutionelle Partnerschaften mit Ländern überdenken, die einen sehr niedrigen Indexwert aufweisen, etwa Ägypten, China, der Iran, Nicaragua, Russland, Saudi-Arabien oder die Türkei.

Dabei dürfen rote Linien nicht politisch verordnet werden, die Zurückhaltung muss aus dem Wissenschaftssystem selbst kommen. Allerdings bleibt die individuelle Mobilität von Studierenden und Forschenden auch unter schwierigen Bedingungen wichtig – selbst in Afghanistan, wo Frauen seit ein paar Monaten aus den Universitäten ausgeschlossen werden. Ohne Austausch über Länder- und Systemgrenzen hinweg ist das Ziel einer global vernetzten, freien Wissenschaft nicht erreichbar.

Wissenschaftsfreiheit soll Forschende und wissenschaftliche Einrichtungen von politischen Zielen emanzipieren. Dies lässt sich jedoch nur innerhalb einer demokratischen und liberalen Grundordnung realisieren. Austausch allein reicht daher nicht. Um die Wissenschaftsfreiheit genießen zu können, müssen Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Universitäten freiheitlich handeln. Ein Blick in den Academic Freedom Index lehrt uns, dass auf diesem Weg noch viel zu tun ist.

Der Academic Freedom Index wird von der VolkswagenStiftung gefördert. Die aktuellen Ergebnisse können hier eingesehen werden: https://academic-freedom-index.net.